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Objekt des Monats Februar 2022 - 100 Jahre Ulysses

Ulysses by James Joyce
Ulysses by James Joyce

Als Buch des Monats präsentiert die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier das Meisterwerk „Ulysses“ von James Joyce anlässlich des 100. Jahrestags seiner ersten Publikation sowie zum 140. Geburtstag des Autors.

„Joyce‘ Geburtstag, der zweite Februar, kam näher und ich wusste, sein Herz hing daran, das Erscheinen am gleichen Tag zu feiern“, schrieb die Buchhändlerin und Verlegerin Sylvia Beach über die Ereignisse im Jahr 1922. Der Drucker, den sie für den Druck von Ulysses engagiert hatte, sagte „die Setzer hätten ihr Bestes getan, aber ich müsse noch etwas länger auf den Ulysses warten, er könne unmöglich bis zum 2. Februar fertig sein. Ich bat ihn, das Unmögliche möglich zu machen, damit man Joyce an seinem Geburtstag wenigstens ein Exemplar des Ulysses überreichen könne“.

Und tatsächlich: Am 2. Februar, dem 40. Geburtstag des Schriftstellers, erhielt Sylvia Beach um sieben Uhr morgens an einem Pariser Bahnhof zwei erste Exemplare des Buches. Sie ahnte wahrscheinlich schon, dass sie eines den wichtigsten literarischen Werken der Moderne in den Händen hielt. Dies war nicht das einzige Wunder, das die begabte Buchhändlerin zustande brachte. Wichtig ist aber zu betonen, dass die Originalausgabe dieses Meisterwerks der Literatur in Frankreich veröffentlicht wurde, mehr dazu später.

Eigentlich waren es mehrere bemerkenswerte Frauen, die sich von Anfang an für das Meisterwerk von Joyce eingesetzt und es möglich gemacht hatten, die ersten Kapitel des Werkes zu lesen. Schon vier Jahre vor dem runden Geburtstag des Schriftstellers hatte die amerikanische Herausgeberin und Publizistin Margaret C. Anderson als Erste Teile des Ulysses in ihrer avantgardistischen Zeitschrift „Little Review“ gedruckt. Ihre Zeitschrift wurde mehrmals vom United States Postal Service konfisziert und verbrannt. Zudem wurde die Verlegerin wegen der Obszönität des Werkes zu einer Geldstrafe von 100 US-Dollar verurteilt. Auch in England bemühte sich eine Frau, die Redakteurin und Feministin Harriet Shaw Weaver, darum, Joyce‘ Bücher bekannt zu machen. Im Jahr 1919 veröffentlichte sie fünf Fortsetzungen des Werkes im „Egoist“, einer Zeitschrift, die sie finanzierte und in der „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ von Joyce als Fortsetzungswerk erschien. Dennoch gelang es Harriet Weaver nicht, „A Portrait of an Artist“ in Buchform herauszubringen. Sie fand in England keinen Drucker, der bereit gewesen wäre, eine Strafe zu riskieren, um das Buch zu drucken. Die Veröffentlichung des umstrittenen Werkes „Ulysses“ in den USA war sogar vollkommen unmöglich gewesen.

Dieser Aufgabe hat sich aber eine andere Frau gestellt, die bemerkenswerte Sylvia Beach. Als sie vor hundert Jahren früh morgens auf dem Bahnhof auf die beiden ersten Ausgaben von Ulysses wartete, war sie in Paris sehr bekannt. Im Jahre 1916 hatte sie „Shakespeare und Company“ eröffnet, einen Buchladen mit Leihbücherei, die zahlreiche bekannte Schriftsteller wie Ernest Hemingway, André Gide oder Georg Bernard Shaw besuchten. Außerdem war sie mit Alice Toklas und Gertrud Stein befreundet. In Sylvia Beach hatte James Joyce die treueste Begleiterin und Verlegerin gefunden, die er sich vorstellen konnte.

Sylvia Beach beschreibt in ihren Erinnerungen sehr nüchtern den Umgang mit dem damals bereits berühmten Schriftsteller, der zweifellos ein Genie im Bereich Literatur war, als Kooperationspartner aber nicht leicht zu ertragen war. Die Vorwürfe, dass der Ulysses zu obszön und skandalös sei, die eine Veröffentlichung in den USA und England verhindert hatten, waren auch in Paris ein Thema, wenn auch kein Hindernis.

„Mr. Joyce hatte auch seine eigenen Ansichten darüber, was in Gegenwart von Damen erörtert werden durfte“, schrieb Sylvia Beach mit Ironie „Und doch hatte Joyce keine Bedenken, seinen Ulysses Damen in Hand zu geben oder ihn von Damen veröffentlichen zu lassen.“

Sie beschreibt auch den langwierigen Prozess, der notwendig war, um die letzte Fassung fertig zu stellen. Die Setzer „befolgten meine Anordnungen, Joyce mit so viel Fahnen zu versorgen, als er brauchte, und er war unersättlich. (…) Joyce sagte mir, ein Drittel des Ulysses habe er auf die Fahnen geschrieben“. Der Drucker hatte die Verlegerin vor den sehr hohen Kosten dieses Verfahrens gewarnt. „Aber nein, ich wollte davon nichts hören“, erinnerte sie sich später selbstkritisch. „Ulysses sollte in jeder Hinsicht genauso werden, wie Joyce es wünschte. Ich würde „wirklichen“ Verlegern nicht raten, meinem Beispiel zu folgen, und Autoren nicht raten, es Joyce gleichzutun. Es wäre der Tod des Verlagswesens. In meinem Fall lag die Sache anders. Es kam mir natürlich vor, daß meine Bemühungen und Opfer im Verhältnis zur Größe des Werkes standen, die ich herausgab.“

Auch manche Übersetzungen von Ulysses gleichen einer Odyssee. Die erste deutsche Fassung von 1927 von Georg Goyert wurde 1975 durch die epochale Übersetzung von Hans Wollschläger ersetzt. Anfang 2018 hat die deutschsprachige Presse den Aufruf lanciert „Rettet den deutschen «Ulysses»“. 2007 willigte Wollschläger ein, dass eine Gruppe von Fachleuten seine Übersetzung überarbeiten und aktualisieren dürfe; kurz darauf verstarb Wollschläger. Nach zehn Jahren Arbeit, mehr als 5.000 Änderungen sowie kurz vor der Veröffentlichung haben die Erben Wollschlägers mit Verweis auf das Urheberrecht gegen dieses Vorgehen protestiert.

Am 17. Januar 2022 ist im Suhrkamp-Verlag die Jubiläumsausgabe der alten Übersetzung erschienen. Man kann dabei zwischen verschiedenen Farbvarianten des Covers wählen: von Gold, über Rot und Türkis bis zu Dunkelblau. Anlässlich des 100. Jahrestags der Erstveröffentlichung wurde der deutsche Ulysses zwar nicht gerettet, er bekam aber neue Kleider.

Joyce hätte sich über dieses Verfahren sicher gewundert. Sein Wunsch war es, dass sein Werk in griechisches Blau gekleidet werde. Ausgerechtet in Deutschland hat der Drucker die richtige Farbe gefunden. Auch solche Wünsche hat die Verlegerin von Joyce mit stoischer Ruhe ertragen. Es wäre schön, wenn am 2. Februar 2022 auch an Sylvia Beach gedacht würde, ohne die wir das große Jubiläum nicht feiern könnten.

Hinweise zur vertiefenden Lektüre:

  • Sylvia Beach, Shakespeare and Company. Ein Buchladen in Paris („Shakespeare & Company“), Frankfurt/M. 1996
  • Noel R. Fitch: Sylvia Beach. Eine Biographie im literarischen Paris. 1920–1940, Frankfurt am Main 1989
  • James Joyce: Briefe an Sylvia Beach. 1921–1940. Hrsg. von Melissa Banta und Oscar A. Silvermann, Frankfurt am Main 1991
 
Bildergalerie
  • Ausschnitt von: Revista de la Exposición Universal de París, 1889. El jardín central. Vista tomada desde el Palacio de las secciones industrials. (This image was originally posted to Flickr by Biblioteca General Antonio Machado de la Universidad de Sevilla, España at https://flickr.com/photos/37667416@N04/3784011807 and it is licensed under the terms of the cc-by-2.0)