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Frau des Monats Oktober 2021 - Hilde Hubbuch – eine neue Frau aus Trier

Veni, vidi, audivi - Hilde Hubbuch
Veni, vidi, audivi - Hilde Hubbuch

Hier geht's zum Podcast (MP3). (Musik-Quelle: www.musicfox.com)

Podcast in Kooperation mit:
Agentur textschnittstelle | mediencontent & text Bettina Leuchtenberg M.A.

In Dessau habe ich ein sehr nettes Zimmer gefunden (..) Bei Steuber, Waldweg 26“, so schrieb Hilde Hubbuch im Herbst 1931 an ihren Ehemann. „Wir haben 40 neue Schüler, 15 Amerikaner, einer mit Auto.“ Ihr Enthusiasmus und ihre Neugier für den neuen Lebensabschnitt sind in dieser Postkarte zu spüren. Eine junge Frau, begeisterte Fotografin, hat es an die beste Kunstschule, die es in der Weimarer Republik gab, geschafft: das Bauhaus. Wie auch die Zahl der ausländischen Studenten deutlich macht, war die Schule weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt.

Wer war die junge Frau, die sich drei Jahre nach der Eheschließung nicht um den Ehemann kümmerte und keine Kinder erwartete, sondern den eigenen Traum verfolgte? Es war nicht gewöhnlich zu dieser Zeit, dass die Frau ihren persönlichen Interessen nachging und eine ambitionierte Karriere verfolgte. Die Weimarer Verfassung hatte Frauen und Männer zwar gleichgestellt. Aber die Rollenbilder waren immer noch sehr starr und prägten den Alltag in vielen Städten, so auch in Trier. Schauen wir uns Hilde Hubbuch näher an. Eine Frau, die es geschafft hat, sich den Stereotypen zu entziehen, selbstbewusst ihr eigenes Leben zu gestalten und ihr künstlerisches Talent zu entwickeln.

(*Die Mutter von Hugh Brownstone hatte Hilde Hubbuch eine Leica abgekauft, um selber zu fotografieren. Für das Fotografieren begeisterte sich auch ihr Sohn, der heute mit Leicas durch die Straßen von New York zieht und Leute fotografiert. Die originale Kamera von Hilde Hubbuch ist immer noch im Besitz von Hugh Brownstone. Diese Geschichte erzählt der Fotograf in einem Kurzfilm, den er gedreht hat.)

Hilde Hubbuch wurde 1905 in Trier in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeboren. Ihr Vater Otto Isay war ein erfolgreicher Unternehmer aus Cochem, ihre Mutter Stephanie Dreyfuss, genannt Fanny, stammte aus einer Bankiersfamilie. Die Isays besaßen eine prosperierende Holzfirma und wohnten in einem Doppelhaus in der Balduinstraße 10-12. Das Ehepaar hatte die Räume mit wertvollen Möbeln und Kunstobjekten ausgestattet. „Die Wohnung war, würde ich sagen, mindestens zu 2/3 mit Kunstgegenständen gefüllt“, erinnerte sich eine Freundin der Isays nach dem Krieg. Gesammelt wurden Porzellan und Kunststiche. Die einzige Tochter der Eheleute, Hilda, hatte den Kunstsinn der Eltern geerbt. Zwei Jahre nach dem Abitur, das sie in Trier am Auguste-Victoria-Gymnasium absolvierte, hat sie sich für das Studium an der Badischen Landeskunstschule entschieden. Sie besuchte die Zeichenklasse von Karl Hubbuch und die Keramikklasse von Paul Speck.

Nicht ohne Bedeutung für den weiteren Werdegang von Hilde Hubbuch waren andere in Karlsruhe tätige junge Fotografinnen wie Liselotte Grschebina. Sie genoss eine professionelle Ausbildung in Stuttgart und in Berlin, im Atelier des bekannten Fotografen Walter Peterhans. Im Jahr 1929 erhielt sie sogar eine Fotografenstelle an der Landeskunstschule und unterrichtete selbst. Auch andere Fotografinnen wie Ellen Auerbach und Edith Moos waren in Karlsruhe aktiv. Sie waren wie Hilde Hubbuch Jüdinnen, und die professionelle Ausbildung sollte ihnen den Aufbau einer neuen Existenz im Exil ermöglichen.

Aber zurück zu Hilde Hubbuch. Auf einer früheren Fotoserie sehen wir eine selbstbewusste Frau, mit direktem, ernstem Blick, kurzem und manchmal absichtlich nicht frisiertem Haar. Sie gibt sich keine Mühe, feminin auszusehen, sie ist keine Hausfrau und auch kein Lustobjekt, sie ist ganz einfach sie selbst. Kurzum: Hilde Hubbuch verkörpert die sogenannte „neue Frau“: modern, selbstständig, emanzipiert.

Hilde Hubbuch fotografierte sich zusammen mit ihrem Lehrer und späteren Ehemann Karl Hubbuch. Die beide schufen bewusst lustige Kompositionen. Sie stehen vor einem Spiegel in komischen Posen und Gesten, sie mit einem Föhn, er mit einem Nudelholz. Auf den Fotos ist auch die Fotokamera zu sehen: Es ist eine Cocarette I Lux 521/2, Zeiss-Ikon – die neueste tragbare Kamera, ausgestattet mit einem Drahtauslöser. Die Schülerin und der Lehrer haben sich gut verstanden, was man auch auf den Fotos sieht. Sie hatten aber nicht nur einen gemeinsamen Sinn für Humor und ein Interesse an der Fotografie, sie haben sich zueinander hingezogen gefühlt und wurden zu Liebhabern. Die Eltern von Hilde waren zwar ziemlich modern, schließlich haben sie der Tochter erlaubt, für das Studium das Familienhaus zu verlassen. Aber eine freie Liebe war offensichtlich doch eine zu große Zumutung. Hilde Hubbuchs Vater Otto Isay beauftragte ein Detektivbüro, Beweise für die Beziehung zu sammeln. Ein Kollege von Karl Hubbuch hat die Ereignisse beschrieben: „Der überaus misstrauische Papa ließ seine einzige Tochter durch das Detektivinstitut ‚Argus‘ beobachten und hatte trotz alldem vor einem halben Jahr das Pärchen in einem Wiesbadener Hotel ertappen müssen. Gelassen hatte Karl die Forderung des tobenden Papas akzeptiert und Hildes Mädchenehre das Opfer seines Junggesellentums gebracht. Das junge Ehepaar hatte dann lediglich das Atelier im Bauhausstil möbliert. Auf trautes Glück am eigenen Herd verzichteten beide mit Vergnügen.“ Knapp fünf Monate nach der Eheschließung, die am 4. Januar 1928 in Trier stattfand, wurde Karl Hubbuch zum Professor ernannt.

Die ersten Ehejahre schienen traumhaft zu sein. Das Ehepaar verbrachte viel Zeit auf Reisen nach Frankreich. Sie besuchten Paris, Nizza, Avignon, Marseille und Monaco. Auch durch Deutschland reiste das Paar und schaute sich gemeinsam Kunstaustellungen an. Hilde Hubbuch wurde gezeichnet und gemalt: Hilde mit dem Spiegelei, Hilde mit dem Fahrrad – und das Meisterwerk Viermal Hilde: Rauchend, in der Schürze, in einem Kleid und in einem Mantel. Auch Hilde Hubbuch verewigt ihren Mann, meistens bei der Arbeit. Ihre Aufnahmen sind mutiger, sie verweigert sich nicht, die Szenen innovativ zu gestalten, sie schneidet die Bilder aus. Sie spielt mit den Spiegelreflexionen.

Aber Hilde Hubbuch möchte nicht nur die Frau eines Professors sein. Sie möchte sich weiterentwickeln. 1931 entscheidet sie sich, die Ausbildung im Bauhaus fortzusetzen und studiert drei Semester u. a. bei Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer. Als Hospitantin besucht sie den Fotokurs von Walter Peterhans. Das Abenteuer Fotografie nimmt am Bauhaus neue Dimensionen an. Hilde Hubbuch experimentiert viel mit Form und Licht. Sie fotografiert ihre Kolleginnen, moderne Stillleben sowie nahezu abstrakte Kompositionen. Die Schule ist sehr international. Es gibt nicht nur ausländische Schüler, auch Professoren aus anderen Ländern unterrichten am Bauhaus. Aus Russland kommt Wassily Kandinsky, aus New York Lionel Feininger. Hilde Hubbuch wird durch Feininger in einer Portraitserie verewigt.

Gleichzeitig mit der Ankunft von Hilde Hubbuch in Dessau im Herbst 1931 hatte die NSDAP die Gemeinderatswahlen gewonnen und war zur stärksten Partei in der Stadt geworden. Eine ihrer Forderungen war die Schließung der Schule und die „sofortige Streichung sämtlicher Ausgaben für das Bauhaus. Ausländische Lehrkräfte sind fristlos zu kündigen.“ Im August 1932 wurde das Bauhaus in Dessau geschlossen, die Neugründung in Berlin war nur eine kurzfristige Lösung. Am 19. Juli 1933 musste auch der letzte Standort geschlossen werden. Moderne Kunstströmungen, darunter die sogenannte Neue Sachlichkeit, wurden verboten. Dies betraf auch Karl Hubbuch, der im Juli 1933 Berufsverbot erhielt. Trotzdem fotografierte Karl Hubbuch weiter, auf seinen Bildern tauchen immer häufiger die Hakenkreuze auf.

Im Sommer 1933 besuchte Karl Hubbuch Trier. In der Wohnung seiner Schwiegereltern in der Balduinstraße hingen mehrere Bilder und Aquarelle von ihm. Es war eine besondere Zeit in Trier: der Heilige Rock, der seit 1891 nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt worden war, wurde zwischen Ende Juli und Anfang September ausgestellt. Schätzungsweise über zwei Millionen Pilger strömten nach Trier. Der Künstler verewigte mit seiner Kamera schwarzgekleidete, fromme Menschen, später malte er auch Bilder, eins davon schenkte er den Schwiegereltern. Es war höchstwahrscheinlich der letzte Besuch Karl Hubbuchs in Trier. Ihm wurde zusehends bewusst, was es in diesen Zeiten bedeutete, eine Jüdin geheiratet zu haben. Was folgte, waren schwierige Zeiten, die die Ehe nicht überstehen sollte.

Es war nicht einfach, die Ehefrau eines Kunstprofessors zu sein. Hilde Hubbuch fotografierte den Ehemann mit verschiedenen nackten Frauen, die seine Aktmodelle waren. Die Fotografierten schauen sich in die Augen, berühren sich. War sie nicht eifersüchtig, als sie das Geschehen hinter der Kamera beobachtete? Wir wissen es nicht. Hilde Hubbuch hat sich hinter ihrem Objektiv „versteckt“.

Was sie aber vermutlich mehr beunruhigte, waren die politischen Ereignisse. Die Machtergreifung der NSDAP und der steigende Antisemitismus hatten Spuren auf dem Gesicht Hilde Hubbuchs hinterlassen. Wir verfügen über keine Tagebücher der Fotografin, aber ihre Augen auf den Fotos aus der Bauhauszeit verraten uns viel. Sie ist nicht mehr die wilde Rebellin, sie ist eine nachdenkliche, besorgte Frau. Im April 1935 lassen sich die Eheleute scheiden, bleiben aber lebenslang in Kontakt. Fünf Monate später treten die Nürnberger Gesetze in Kraft. Für Hilde Hubbuch war es das Ende des modernen Deutschlands, hier war kein Platz mehr für emanzipierte Frauen, vor allem für solche mit jüdischer Abstammung.

Schon vor der Scheidung begab sich Hilde Hubbuch nach Wien, wo sie für eine Presseagentur tätig war. Hier wird sie mit Fotoreportagen beauftragt. Auf einer Postkarte an Karl Hubbuch berichtet sie über ihr Leben: „Ich bin über Ostern hier mit meinen Verwandten mit dem Omnibus hergefahren, morgen fahr ich wieder nach Wien in mein ach so arbeitsschweres Leben. Danke für das Geld.“ Aber auch Wien ist kein sicherer Ort mehr. 1936 emigriert Hilde nach London zu ihrem Onkel. Drei Jahre später geht sie in die USA, sie wird die Eltern nie wiedersehen. Der Familie geht es nicht gut in Trier. Während der Novemberpogrome wird die Wohnung geplündert. Eine Zeitzeugin berichtet, dass „Kristall und Porzellan durch Fenster und Balkon auf die Straße geworfen wurden (…) Ein antiker Kleiderschrank war völlig zerstört (…) im Esszimmer war sämtliches Porzellan und Kristall, was zerbrechlich war, alles zerschlagen (…) Der Haufen von Scherben war kaum zu übersehen (…) In den vorderen Zimmern war eine Reihe von Bildern (Aquarellen des Malers Hubbuch) des Schwiegersohnes der Leute Isay. Dieselben waren sämtlich zerrissen und völlig zerstört. Im Esszimmer waren 2 antike Kommoden, diese waren mit Beilen zertrümmert.“ Die Firma Isay & Co. wurde "arisiert" und die Eltern mussten das Familienhaus in der Balduinstraße verlassen. Sie waren nicht mehr in Sicherheit. 1941 starb der Vater, die Mutter nahm sich im April 1942 das Leben, als sie nach Osten deportiert werden sollte. Manche Kolleginnen Hilde Hubbuchs aus dem Studium, wie Edith Moos, wurden im Konzentrationslager ermordet. Auch viele jüdische Mitschüler aus dem Bauhaus überlebten die Kriegszeit nicht.

Hilde war in Amerika auf sich allein gestellt. Sie änderte ihren Namen aus Hubbuch in Hubbuck und begann ein neues Leben. Glücklicherweise verfügte sie über eine Ausbildung und über Arbeitserfahrung. In New York wohnten Bekannte aus Karlsruhe und Dessau. Wie die Fotografin Ellen Auerbach, die für das Time-Magazine arbeitet. Möglicherweise inspiriert durch Auerbach, die nach der Auswanderung nach Israel Mitte der 1930er Jahre ein Kinder-Foto-Atelier in Tel-Aviv eröffnet hatte, gründete Hilde Hubbuck eine eigene Firma, die sich auf Kinderfotografie spezialisierte. Sie gab Anzeigen im New Yorker Magazine auf „the look that only you know and want to share with the others. Your child photographed in your own home.” Auch in deutschsprachigen Zeitungen machte sie Werbung: „Ein Tag aus dem Leben Ihres Kindes. Rufen Sie mich an, ich komme ins Haus. Hilde Hubbuck.“ Das Bild zeigt eine Frau, die die Fotoausrüstung trägt und eine Katze an der Leine hat. Katzen waren ihre große Liebe. Auf vielen Fotos posiert sie mit Katzen, manche Nahaufnahmen sind beeindruckend. Doch fotografierte Hilde Hubbuck nicht nur Kinder und Katzen, sondern auch wichtige Persönlichkeiten ihrer Zeit. Genannt seien der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Schriftsteller Norman Mailer, der Herausgeber und Kritiker Wolcott Gibbs und der Herausgeber des New Yorker, William Shaw.

Mehrmals nach dem Krieg besuchte Hilde Hubbuck ihre Heimatstadt Trier. 1948 stellte der Rechtsanwalt Dr. Jakob Voremberg in ihrem Namen eine Wiedergutmachungsklage. Sie verblieb auch in guten Kontakten mit Karl Hubbuch, der 1941 noch einmal geheiratet hatte und nach 1945 als Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe wirkte. Sie kam oft nach Europa, besichtigte Amsterdam, Zürich und Brüssel, wo sie die Kunstwerke in den Museen bewunderte. 1969 bekam Karl Hubbuch eine Postkarte aus Wales: „Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, würde ich hierherziehen. Es ist Jahrhunderte entfernt von New York (…) Fliege morgen nach Holland, Mittwoch nach Trier (9. Juli) und am 13 Juli nach Karlsruhe.“ Dies war vermutlich der letzte Besuch Hilde Hubbuchs in Trier. Sie verstarb am 24. Oktober 1971 in New York. Auf den letzten vorhandenen Fotos sehen wir eine Frau, die wieder ihre innere Ruhe gefunden hat. Sie hält eine Katze auf dem Schoß, blickt in die Kamera und lächelt, so als wollte sie sagen „es war kein einfaches Leben, aber jetzt geht es mir wieder gut“.

Unser Dank geht an erster Stelle an Herrn Willy Körtels, der uns auf Hilde Hubbuch und ihr Werk aufmerksam gemacht und uns bei der Recherche unterstützt hat. Frau Sylvia Bieber, Städtische Galerie Karlsruhe, danken wir für die Unterstützung bei den Recherchen in Karlsruhe. Herrn Hugh Brownstone danken wir herzlich für das Anvertrauen seiner Geschichte und den Kurzfilm.

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