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Handschrift des Monats September 2021 - Zwischen Trier und Paris

Veni, vidi, audivi - Ada-Evangeliar
Veni, vidi, audivi - Ada-Evangeliar

Hier geht's zum Podcast (MP3). (Musik-Quelle: www.musicfox.com)

Podcast in Kooperation mit:
Agentur textschnittstelle | mediencontent & text Bettina Leuchtenberg M.A.

Zu den größten Schätzen der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier gehört das Ada-Evangeliar, eine der kostbarsten Handschriften aus der karolingischen Hofschule Kaiser Karls des Großen. Es gibt viele Fragen zu diesem Meisterwerk, die offenbleiben, wie die Lokalisierung des Entstehungsorts oder die Rolle der geheimnisvollen Namensgeberin. Ziemlich genau dagegen kann man die Besitzgeschichte des Evangelias in den letzten 200 Jahren rekonstruieren. Dass dieser Schatz im Besitz der Trierer Stadtbibliothek blieb, war nicht immer selbstverständlich und wir verdanken es vielen Trierern, die sich für die Rückgabe der Handschrift nach ihrer langjährigen Odyssee eingesetzt haben.

Das Evangeliar ist zwischen 790 und 810 entstanden, als Entstehungsorte in Frage kommen neben Trier auch ein Skriptorium des Klosters Lorsch oder Mainz. Seit dem früheren 12. Jahrhundert ist es in der Bibliothek der Abtei St. Maximin in den Katalogen nachgewiesen. Wie es nach Trier gelangt ist, bleibt unklar.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts musste die kostbare Handschrift Trier verlassen. Europa wurde durch die Koalitionskriege erschüttert. Für Napoleon waren nicht nur neue Länder und politische Erfolge wichtig, er wollte auch bedeutende Kulturschätze nach Paris bringen und sie im Louvre präsentieren. Am 10. August 1793 wurde das große Museum François, ab 1803 Musée Napoléon genannt, für das Publikum geöffnet und in den nächsten Jahren wuchs die Sammlung um zahlreiche bekannte Kunstwerke aus ganz Europa. Im Jahr 1794 hatten französische Truppen begonnen, große Mengen an Kunst- und Kulturgütern aus den besetzten Gebieten zu beschlagnahmen und nach Paris zu transportieren. Neben Deutschland war auch Italien betroffen, in Rom wurden zum Beispiel der Apollo von Belvedere und die Laokoon-Gruppe beschlagnahmt, in Venedig die Markuslöwen und die vier goldenen Pferde aus dem Markusdom.

Auch in Trier war diese Vorgehensweise bekannt. 1794-1795 gelangten kostbare Buchbestände aus rheinischen Bibliotheken in Aachen, Köln, Bonn und Koblenz nach Paris. Als sich die französischen Truppen der Stadt Trier näherten, beschloss der Leiter der Abteibibliothek St. Maximin, der Mönch Sanderad Müller, die wertvollsten Bücher und Archivalien auf rechtsrheinischem Gebiet in Sicherheit zu bringen; darunter war auch das Ada-Evangeliar. Die Odyssee der Handschrift, die erst 24 Jahre später wieder nach Trier zurückkehren sollte, begann im Sommer 1797. Der Bibliothekar Müller packte die kostbarsten Schätzen der Maximiner Abtei ein und suchte Zuflucht in Aschaffenburg, später in Hanau und Bayreuth. Im Sommer 1797 zog er mit dem Ada-Evangeliar im Gepäck nach Mainz. Andere wertvolle Objekte aus der Trierer Abtei hatte er an verschiedenen Orten in der Stadt Mainz gelagert, von dem Evangeliar wollte er sich aber nicht trennen. Daher brachte er es in seine Wohnung am Tiermarkt. Im Dezember 1797 wurde Mainz erneut von französischen Kräften kontrolliert, die Handschrift war hier also nicht mehr sicher. Über zwei Jahre hinweg verblieben die Kunstschätze im Besitz von Sanderad Müller, erst bei einer Durchsuchung seiner Wohnung gelangte das Ada-Evangeliar dann doch in französische Hände. Parallel dazu haben die Besatzungskräfte einige deutsche Bibliothekare angewiesen, eine Liste der Maximiner Handschriften für wissenschaftliche Zwecke anzufertigen. Aus diesem Grunde wurde das Ada-Evangeliar zuerst in die Bibliothek der Universität Mainz gebracht, durch einen Fachmann ausgewertet und beschrieben. Schließlich wurde die kostbare Handschrift zusammen mit anderen mittelalterlichen Urkunden aus der Abtei St. Maximin nach Paris in die Königliche Bibliothek transportiert. Dort wurde ihr Eingang am 10. Oktober 1800 dokumentiert, später würde das Prachtstück an das Musée Napoléon übergeben. Die Zeitzeugen berichteten wie folgt: „Der Codex (…) wurde wegen seiner Kostbarkeit viele Tage zur Schau ausgestellt, in französischen Zeitungen bewundert und 200 000 fr. wertgeschätzt. Allein, ein Benediktiner aus dem Gefolge des russischen Botschafters in Paris berichtete hierhin, dass der kostbar geschnittene Stein, ein doppelschichtiger orientalischer Onix, nicht mehr daran gewesen sei (…). Dieser Stein ist nun entweder zu Mainz oder zu Paris geraubt worden, oder man hat ihn in dieser Stadt vielleicht als ein seltenes Stück (…) in die Sammlung geschnittener Steine deponiert.“ Tatsächlich wurde der Kameo in Paris zur Untersuchung und Schätzung zeitweise aus der Fassung herausgenommen, danach aber wiedereingesetzt.

Nach der Niederlage Napoleons und dem Wiener Kongress im Jahr 1815 wurden zahlreiche Kunstwerke zurückgegeben. Laokoon kehrte nach Rom zurück, die Pferde aus San Marco nach Venedig. So hofften auch die Trierer Bibliothekare, die geraubten Kunstwerke zurück nach Trier bringen zu können. Es ist sogar eine Aussage von Sanderad Müller überliefert: „Als die Deutschen zum andermal siegend in Paris einzogen, so glaubten wir [die acht noch lebenden Mitglieder der Abtei] nun sei die gewünschte Gelegenheit da, diesen Codicem den französischen Händen zu entwinden und nochmals in deutschen Besitz zu bringen“.

Die deutschen Kulturgüter wurden in der Tat zurückgefordert, wobei auch der Schriftsteller und Politiker Eberhard von Groote mitwirkte. Auch das Ada-Evangeliar stand auf der Liste von Groote, doch war die Handschrift nach Auskunft der französischen Behörden nicht mehr auffindbar. Groote gab sich aber mit dieser Antwort nicht zufrieden und nahm die Ermittlungen in der Nationalbibliothek auf eigene Faust auf. „Eines Morgens – berichtete er – war ich mit dem Kriegskommissar Herrn S. auf der Bibliothek, woselbst sich zu unserem Befremden keiner der Bibliothekare befand. Alle Säle waren geöffnet (…). Wir folgten langsam und in einem kleinen Zimmer, welches man früher geschlossen gehalten hatte, sahen wir unter anderem in einem Glasschranke mehrere Bücher mit kostbaren Deckeln auf kleinen Pulten aufgestellt. Wir sahen näher hin, und eines derselben war dicht unter die mittlere Latte gestellt, durch die beide Türen geschlossen wurden, war also nur mit Mühe zu erkennen. Doch glaubten wir einen großen geschnittenen Stein darauf zu entdecken und ahnten daher schon, den lange vergeblich gesuchten Codex Aureus zu finden. Mit Schrecken erblicken uns die zurückgekehrten Herren Bibliothekare bei unserem Fund. Unser Ersuchen, den Schrank zu öffnen, wurde unter allerlei Vorwand abgelehnt. Es hieß, der Aufseher dieses Zimmers sei nicht zu finden, die Schlüssel könnten nicht gleich herbeigeschafft werden und wir möchten uns bis auf andere Zeit gedulden. Daran war nicht zu denken. Wir erklärten mit Bestimmtheit, nicht vor der Stelle zu gehen, bis wir unseren Zwecke erreicht hätten, welcher kein anderer sei, als uns zu überzeugen, ob das verborge Buch etwa der Trierer Codex Aureus sei“.

Es sollte aber noch drei Jahre dauern, bis das Ada-Evangeliar nach Trier zurückkehren konnte. Zuerst wurde die Handschrift nach Aachen gebracht. Dort wurde inzwischen eine Übergabe an die zu neu eröffnende Rheinische Universität in Bonn geplant. Die Trierer Wissenschaftler, u. a. der Leiter der Stadtbibliothek Johann Hugo von Wyttenbach, waren entsetzt und wollten diese Entscheidung nicht akzeptieren. Der Stadtbibliothekar bemühte sich monatelang und schrieb Briefe an die preußische Regierung und bedeutende Persönlichkeiten wie z. B. Jakob Grimm und setzte sich unermüdlich für die Rückgabe ein. Der Streit erreichte die höchsten Instanzen und König Friedrich Wilhelm III. höchstpersönlich sprach sich für die Rückgabe an Trier aus. Am 18. April 1818 berichtete die Trierische Zeitung „Die Rückforderung des jetzt in Aachen, vorher in Paris befindlichen Codex aureus von Maximin, dieses herrlichen literarischen Schatzes, hat für die Stadt Trier einen günstigen Ausgang genommen. Die hiesige Stadtbibliothek wird ihn auf Befehl Sr. Majestät unseres gerechten Königs unverzüglich ausgeliefert erhalten.“ Nach 24 Jahren wurde das Ada-Evangeliar zurückgebracht.

Wenn man die unkooperative Haltung der französischen Bibliothekare bedenkt, wundert es nicht, dass zahlreiche Bücher aus Trier in Paris geblieben sind. Darauf machte fünf Dekaden später der katholische Theologe Frank Xaver Kraus aus Trier aufmerksam. In den Jahren 1861 und 1862 forschte er in der Pariser Bibliothek und veröffentlichte im folgenden Jahr eine Liste der Trierer Handschriften mit folgendem Vorwort: „Die trier'schen Handschriften, welche der jetzigen kaiserlichen Bibliothek als mit Rechts und Unrecht zugehören, blieben mehr als ein halbes Jahrhundert unbeachtet und unbenutzt. Den französischen Gelehrten lag das Interesse an ihnen im allgemeinen fernen, und von Trier kam niemand, um nach ihnen zu forschen“. Desto wichtiger erschien die Tatsache, dass das wertvolle Ada-Evangeliar nach Trier zurückgebracht wurde.

Das Schicksal des Evangeliars ist eng mit zwei bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt Trier verbunden. Der Bibliothekar der Abtei St. Maximin, Sanderad Müller, bemühte sich jahrelang darum, die Handschrift zu schützen. Er setzte sich für die Erhaltung und Inventarisierung des antiken Erbes in Trier ein und kann als einer der ersten Denkmalpfleger seiner Heimatstadt angesehen werden. Der erste Leiter der Stadtbibliothek, Johann Hugo von Wyttenbach, hat sich große Verdienste um die Sicherung der Kulturgüter der Region erworben. Er rettete zirka 60.000 Bände von Handschriften und Drucken der säkularisierten Kloster- und Stiftsbibliotheken.

Besonders in den Zeiten der Pandemie, wenn Reisen nicht mehr selbstverständlich ist, sollten wir die beiden Trierer Bibliothekare in guter Erinnerung behalten. Dank ihres Einsatzes können wir in der Trierer Schatzkammer ein großes Meisterwerk der mittelalterlichen Buchkunst bewundern, ohne nach Paris reisen zu müssen.

Hinweise zur vertiefenden Lektüre:

  • Michael Embach: Das Ada-Evangeliar. Ein Hauptwerk der Hofschule Karls des Großen, 2. Auflage, Trier 2018
  • Guido Groß: Das Schicksal der Kloster-Bibliothek von St. Maximin zu Trier in den Jahren 1794 bis 1818. In: Trierer Zeitschrift: für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete 21 Nr. 1/2 (1952), S. 369-379
  • Franz Xaver Kraus: Über Trier'sche Handschriften in der Kaiserlichen Bibliothek zu Paris, Serapeum, Bd. 24 (1863) S. 49-61, 65-76
  • Bénédicte Savoy: Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen; mit einem Katalog der Kunstwerke aus deutschen Sammlungen im Musée Napoléon, Wien [u.a.] 2011

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