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Objekt des Monats Januar 2022 - Glückwunschadresse aus Trier zu Otto von Bismarcks 70. Geburtstag

Glückwunschadresse aus Trier zu Otto von Bismarcks 70. Geburtstag (Stadtarchiv Trier, Stadtgeschichtliche Sammlung, Sign. 120 / 1)
Glückwunschadresse aus Trier zu Otto von Bismarcks 70. Geburtstag (Stadtarchiv Trier, Stadtgeschichtliche Sammlung, Sign. 120 / 1)

Das Stadtarchiv Trier verwahrt ein besonders interessantes Exemplar einer Glückwunschadresse, das im Jahre 1885 anlässlich des 70. Geburtstages von Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck gefertigt wurde.

Das aufwändig gestaltete Schmuckblatt zeigt im Zentrum die eigentliche Widmung an den Empfänger und darunter ein Zitat aus dem Schauspiel „Torquato Tasso“ von Johann Wolfgang von Goethe, in dem die selbstlosen Verdienste des Dichterhelden auf Bismarck übertragen werden.

Widmung und Text werden von einem Rahmen aus Rollwerk und seitlichen Ornamentfüllungen eingefasst, welche stilistisch auf den Dekor des 16. Jahrhunderts zurückgehen, der im späten 19. Jahrhundert sehr beliebt war. Das Medaillion im oberen Rahmenbogen mit dem Portrait des Reichskanzlers wird vom preußischen Adler bekrönt und von zwei speerwerfenden Jünglingsfiguren, die aus Rankenwerk erwachsen, flankiert. Auf deren Schilden sind die Worte „Liebe des Volkes“ und „Stolz des Volkes“ zu lesen.

Auch die weiblichen Assistenzfiguren in den seitlichen Füllungen dienen der Programmatik des Blattes. Die links stehende bläst eine Fanfare in Richtung Bismarcks und trägt Lorbeerkränze als Symbol von Sieg, Ruhm und Ehre. Die rechts sitzende, geflügelte Figur im antiken Gewand dürfte ebenfalls als eine Personifikation des Sieges in der Darstellung der Göttin Victoria aus der römischen Mythologie zu interpretieren sein. Indem sie den Namen „Bismarck“ auf eine Schriftrolle verewigt, verweist sie auf den Sieg Deutschlands über die Franzosen und die sich daran anschließende Gründung des deutschen Kaiserreichs 1870/71, welche maßgeblich auf Bismarcks Politik zurückgeht. Dieser Ausdeutung entsprechen auch die über den Figuren angebrachten queroblongen Inschrifttafeln „Ruhm“ und „Geschichte“.

Am meisten verblüfft jedoch die im unteren Bereich des Blattes angebrachte Autorschaft. Man mag kaum glauben, dass der „technische Eisenbahn Secretair zu Trier“ Wilhelm Thyssen (wohnhaft Saarstr. 122) – noch dazu katholischer Konfession – als Entwerfer und Zeichner für eine solch dichte Programmatik und künstlerisch ansprechende Ausführung verantwortlich zeichnet. Im unteren Bogenfeld ist das Verwaltungsgebäude des Königlichen Eisenbahnbetriebsamts in Trier mit Dampflok im Hintergrund zu sehen. Die Inschriften in den Bogenzwickeln und die eingerückten Wappen des Königreichs Preußen und der Stadt Trier links und rechts darüber sind als dezidiertes Bekenntnis einer Zugehörigkeit zur preußischen Rheinprovinz anzusehen, der man einen industriellen Aufschwung und Wohlstand nach dem Anschluss an das Eisenbahnnetz 1856 und besonders nach der Reichsgründung zu verdanken hatte. Die damit verbundenen Vorteile lassen offenbar die Konflikte des erst 1878 überwundenen Kulturkampfes, in dem gerade das katholische Trier als Hochburg des päpstlichen Katholizismus Federn lassen musste, in den Hintergrund treten.

Die aquarellierte Federzeichnung als Einzelblatt und nicht als Druck vervielfältigt, war nur für ihren Empfänger bestimmt. Bismarck erhielt als Reichskanzler und erst recht nach seiner Entlassung 1890 täglich beutelweise solche Verehrungsbekundungen, was nach seinem Tod 1898 in einen regelrechten Bismarck-Kult gipfelte. Über den Auktionshandel fand dieses aussagekräftige Stück 2014 wieder zurück in seine Trierer Heimat. Über die zahlreichen historischen Inhalte hinaus ruft es uns dazu auf, vielleicht auch einmal wieder zu Papier und Stift zu greifen, um einer uns nahestehenden und geschätzten Person einen handgeschriebenen Glückwunsch zu schicken, der auf diese Weise der Nachwelt erhalten bleibt.

Simone Fugger von dem Rech

Glückwunschadresse aus Trier zu Otto von Bismarcks 70. Geburtstag
1885, Widmungsschmuckblatt, Feder und Aquarell mit kalligraphischem Text, 73,5 x 54 cm, in Leinwandmappe, 75 x 56 cm
Stadtarchiv Trier, Stadtgeschichtliche Sammlung, Sign. 120 / 1