Sprungmarken

Buch des Monats Juli 2020 - Stefan Andres zwischen Heimat und Exil

Veni, vidi, audivi - Stefan-Andres-Podcast der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier
Veni, vidi, audivi - Stefan-Andres-Podcast der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier

Hier geht's zum Podcast (MP3). (Musik-Quelle: www.musicfox.com)

Podcast in Kooperation mit:
Agentur textschnittstelle | mediencontent & text Bettina Leuchtenberg M.A.

 

Trier braucht Sie so dringend, und wenn nicht Trier allein und für immer, dann Deutschland oder das, was einmal Deutschland sein wird.“ Das schrieb der Trierer Verkehrsdirektor Wilhelm Bracht am 5. Mai 1946 an Stefan Andres. Der lebte zu dieser Zeit im selbstgewählten Exil im italienischen Positano. Es sollten noch zwei Jahre vergehen, bis Andres nach Trier kam: Am 15. Juli 1948 las er im kleinen Saal der Treveris aus seinen Werken. Zu Beginn des Jahres 1950 ließ er sich wieder in Deutschland nieder. In Unkel am Rhein, leider nicht in Trier.

Stefan Andres wurde am 26. Juni 1906 auf einer der Breitwieser Mühlen in Dhrönchen in der Gemeinde Trittenheim geboren. Während seiner Kindheit und Jugend lebte er in Schweich.

Seine Eltern wünschten sich für ihn eine Zukunft als Geistlicher. Doch mehrere Versuche, in den verschiedensten geistlichen Orden Fuß zu fassen, scheiterten. Schließlich begann er ein Studium. Stefan Andres studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Köln, Jena und Berlin. In dieser Zeit begann er zu schreiben. 1932 heiratete er die Medizinstudentin Dorothee Freudiger. Er gab sein Studium auf und beschloss, freier Schriftsteller zu werden. Für seinen ersten Roman, „Bruder Lucifer“, der 1933 erschien, erhielt er ein Stipendium der Abraham-Lincoln-Stiftung. Diese Unterstützung erlaubte ihm eine Reise nach Italien.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschlechterte sich die finanzielle und soziale Lage der jungen Familie: Dorothee Andres war jüdischer Herkunft. Stefan Andres jedoch wollte den rassischen Nachweis für seine Frau nicht erbringen, denn dann hätten sie sich scheiden lassen müssen. In der Folge verlor er seine Stellung beim Kölner Rundfunk. Das Ehepaar bekam auch immer mehr antisemitische Ressentiments zu spüren. Die Familie mit den inzwischen zwei kleinen Töchtern suchte nach einem sicheren Hafen. Zuerst wohnte sie bei den Schwiegereltern am Rande der Republik, in Lomnitz in Niederschlesien. Hier schrieb Stefan Andres die Novelle „El Greco malt den Großinquisitor“, ein Dialog-Gefecht mit einem „heiligen Henker“. Das Geschehen spielt zwar zur Zeit der spanischen Inquisition, kann aber auch als Parabel auf das Dritte Reich gelesen werden. Sie ist eine Erzählung über Machtmissbrauch, Verfolgung und Angst. All dies hatte der Schriftsteller in den letzten Jahren selbst erlebt.

Wir werden so oft Leiber verbrennen, als Stimmen gehört werden, die der Wahrheit widersprechen. Im Übrigen wissen Wir, in welchen Maße das Feuer reinigt. Die Scheiterhaufen werden die Leuchttürme der Wahrheit werden“, sagt der Großinquisitor in der Novelle. Geschrieben hat Andres die Worte nach der Machtübernahme der Nationalisten. Dabei hatte er sicher auch schon die Bücherverbrennungen vor Augen, die kurz danach stattfanden. Auch in Köln fand diese an die Tradition der Inquisition zurückgreifende Praktik statt. Trotzt dieser kritischen Aspekte wurde die Erzählung „El Greco malt den Großinquisitor“ 1936 bei Paul List in Leipzig verlegt.

Die Familie des Schriftstellers, die mittlerweile nach München umgezogen war, fühlte sich in Deutschland nicht mehr sicher: Andres‘ Schwiegereltern wurden 1936 enteignet. Viele Kunstschaffende, die mit dem Regime nicht einverstanden waren, erhielten Schreibverbote oder wurden inhaftiert. 1937 entschied sich Andres, mit seiner Familie nach Italien ins Exil zu ziehen, nach Positano. Das kleine Fischerdorf am Golf von Salerno kannte er aus einer früheren Italienreise.

Andres konnte im Exil intensiv arbeiten. Unter anderem schrieb er dort 1942 die Novelle „Wir sind Utopia“, die nach dem 2. Weltkrieg mehrmals verfilmt wurde. Die zwölf Jahre, die der Schriftsteller in Positano verbrachte, gehören zu den fruchtbarsten seines literarischen Schaffens.

Nach seiner Rückkehr wurde Andres in Deutschland mit vielen Preisen ausgezeichnet. So erhielt er beispielsweise 1949 den Rheinischen Literaturpreis. 1952 wurde er mit dem Literaturpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit engagierte er sich politisch, z. B. in der Anti-Atom-Bewegung Ende der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre.

1961 verließ Stefan Andres nochmals seine Heimat und ließ sich in Rom nieder. Dort starb er am 29. Juni 1970. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Campo Santo Teutonico.

Während der Exilzeit reichten die Erinnerungen des Schriftstellers oft zurück in seine Heimatstadt. In seinem in Rom geschrieben Brief aus dem August 1940 ist zu lesen: „Trier, ja ich liebe diese Stadt und doch ersticke ich fast bei dem Gedanken, dort auch nur die Hälfte des Jahres zu wohnen, mit welchem Gedanke ich z. Zt. spiele. Es fehlen meines Erachtens ein halbes Dutzend wirkliche Künstler, die den Dunstschleier über der Stadt zerteilen.

Acht Jahre später besuchte Stefan Andres im Sommer nochmals die Stadt seiner Kindheit. Hierzu notiert er fragend: „Warum gerade diese Stadt, welche die dichteste antike Atmosphäre nördlich der Alpen hat, sich derart feindselig gegen die Grundforderungen des Humanismus verhielt.“ Diese Einschätzung stammt wie die kommenden Zitate aus dem Merian-Heft über Trier aus dem Jahr 1949. Hier äußert er sich in dem mehrseitigen Beitrag „Erhabene Stadt der Trierer“ sehr persönlich über seine Heimatstadt.

Das „zweite Rom“, geprägt durch eine Dichotomie zwischen Erbe der Antike und konservativ orientiertem Katholizismus, war für Andres als Wohnort nicht mehr vorstellbar. Obwohl er nach dem Krieg nicht mehr in Trier leben wollte, war ihm die durch Bombenangriffe zerstörte Stadt immer noch sehr wichtig.

Im Merian-Heft schreibt er: „Und dann der letzte Krieg, der mit dem grausamen Gesicht Dschingis Khans, die Exaktheit der antlitzlosen Maschine, der Mathematik verband. Aber – es grenzt ans Wunderbare: noch steht sie, die „erhabene Stadt der Trierer“. Ihr Antlitz bleibt unverwandelt, wieviel Wunden es auch aufzeigt, denn was Stadt ausmacht, ist nicht so sehr die Erinnerungen in Stein als jede unzerstörbare in den Herzen und Gehirnen, hier west und wurzelt die Geschichte einer Stadt. (…) Die vergessene Stadt aber, wie sooft in Trümmer liegend, sie träumt nicht, sie ist nur unter Regen und Glockengeläut verborgen und wartet auf die Welt.