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Objekt des Monats Januar 2023 - Mark Jones "1923. Ein deutsches Trauma"

"Mark Jones: 1923 : ein deutsches Trauma. - Berlin : Propyläen-Verlag, 2022" und weitere Neuerscheinungen zum Jahr 1923 (Foto: Anja Runkel)
"Mark Jones: 1923 : ein deutsches Trauma. - Berlin : Propyläen-Verlag, 2022" und weitere Neuerscheinungen zum Jahr 1923 (Foto: Anja Runkel)

Der irische Historiker Mark Jones (geb. 1981), Assistant Professor am University College Dublin, präsentiert das Krisenjahr aus einer besonderen Perspektive. Sein Buch ist im Original an ein englischsprachiges Publikum adressiert, das diese Geschehnisse nicht aus dem Schulunterricht kennt, so dass er die deutsche Geschichte in einen internationalen Kontext setzt und eine breitere Analyse anbietet. Der Autor erklärt auch, welche Rolle die europäischen Mächte durch ihr Handeln oder Nicht-Handeln in diesem „annus horribilis“ spielten.

Sein Blick richtet sich vor allem auf Berlin, München und das Ruhrgebiet. Er stellt die Politiker, nationalistische Ideologen und Intellektuelle vor, schildert die alliierte Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg, die schlimme Not der deutschen Bevölkerung durch die Wirtschaftskrise und den aufkeimenden Nationalismus. Ausgangspunkt seiner chronologischen Darstellungen sind stets Einzelschicksale, basierend auf neu erschlossenem Quellenmaterial aus europäischen Archiven. Dadurch gelingt es ihm, sich einer klinisch reinen Version der Geschichte zu entziehen. Die Erzählungen sind eine sehr gelungene Mischung aus einer Mikro- und einer Makroperspektive. So sind z.B. Zahlen und Fakten zu Vergewaltigungen als Bestandteil der französischen Besatzungspolitik mit den konkreten Aussagen der vergewaltigten Frauen verflochten, was die Leser*innen tief berührt und zum Nachdenken anregt.

Man stellt mit Erstaunen fest, dass manche Namen wie Max Erwin von Scheubner-Richter, eine Führungsfigur in der Frühphase der NSdAP, kaum im deutschen kollektiven Gedächtnis präsent sind. Das zeigt deutlich, dass Jones Sichtweise dadurch Neues aufdeckt, weil die Geschichte zu oft durch die nationale Brille gesehen wird.

Auch andere Bücher über das Jahr 1923 sind lesenswert. Christian Bommarius, Jutta Hoffritz, Peter Longerich, Peter Süß, Ralf Georg Reuth oder Volker Ullrich und andere Autor*innen bieten neue Einblicke in das Jahr. Das Spektrum reicht vom Ruhrkampf über die Separatistenbewegung bis zum Hitlerputsch.

Die Bücher oszillieren zwischen der faktenreichen Ausführung eines Sachbuches und dem leichteren Ton eines Feuilletons voller Impressionen, gefertigt nach dem guten Rezept von Florian Illes. Sein vor zehn Jahren erschienener Bestseller „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ ist im Kontext der Neuerscheinungen über das Krisenjahr als Vergleichsmaterial sehr empfehlenswert. Einige gute Bekannte aus Illies Werken wie Franz Kafka, Gerhard Hauptmann oder Rainer Maria Rilke treffen wir 1923 wieder. Unabhängig davon, welches Buch über 1923 man wählt, lohnt es sich „1913“ zu lesen um zu reflektieren, was zwischen diesen zehn Jahren passiert ist. Genauso wichtig ist die Frage, was eine Dekade später geschehen ist. Zum Jahr 1933 gibt bislang keine vergleichbare Auswahl an Neuerscheinungen. Sehr eindrücklich ist jedoch das letzte Werk von Uwe Wittstock „Februar 33“.

Genau der Frage, was zwischen 1923 und 1933 in Trier geschah und wie die großen Zeitläufte auf die Moselstadt einwirkten, möchte das Stadtarchiv Trier mit der kürzlich gestarteten, vielfältigen Themenreihe nachgehen. Eine Ausstellung über den Besuch von Reichpräsident Paul von Hindenburg 1930 ist noch bis zum 26.02.2023 im Foyer von Wissenschaftlicher Bibliothek und Stadtarchiv im Haus an der Weberbach zu sehen. Im Jahr 1923 war auch in Trier eine Separatistenbewegung aktiv und die Wirtschaftskrise deutlich spürbar, was 50-Milliarden-Mark-Scheine aus dem Oktober 1923 und viele weitere Quellen im Stadtarchiv beweisen. In diesem Jahr wurde in Trier auch die „Neue Frau“ sichtbar. Damals kehrte Gertrud Schloss nach Trier zurück, die in den nächsten Jahren für Aufsehen sorgte, weil sie Männerkleider trug und mitunter im scharfen Ton politische Artikel und satirische Texte veröffentlichte, was vorher in Trier eher eine Domäne der Männer war.

Die Dekade zwischen Demokratie und Diktatur prägt unsere Stadt bis heute. 1924 begann in Trier die Ära des Rundfunks, ein Medium, das uns immer noch begleitet. Auch die wirtschaftliche Lage der 1920er Jahre beeinflusste die Kulturlandschaft. In den Notjahren in Zewen angelegte Erdbeerbeete, die 1930 zirka 4 ha. umfassten, sind immer noch ein fester Bestandteil dieses Stadtteils.

Es lohnt sich also, mit dem Stadtarchiv und der Wissenschaftlichen Bibliothek auf diese Reise in die Vergangenheit zu gehen. Die Themenreihe und die ausgewählten Sachbücher verraten uns nicht nur Wissenswertes über die Geschichte unserer Region, sondern führen uns auch die Brüchigkeit unser Demokratie in den vorangegangenen hundert Jahren vor Augen. (pal/sfr)

 
Bildergalerie
  • Themenreihe des Stadtarchivs „Trier 1923-1933. Zwischen Demokratie und Diktatur“