Objekt des Monats April 2022 - Wie wird man Intendant des Trierer Theaters?
Auch im Stadtarchiv Trier warten noch viele Quellen auf ihre Entdeckung. Eine davon, betitelt „Vertrauliche Akten Stadttheater“, ist geradezu prädestiniert, in der zum Tag der Archive am 5. März eröffneten Ausstellung der Wissenschaftlichen Bibliothek und des Stadtarchivs vorgestellt zu werden, weil sie das diesjährige Motto „Fakten, Geschichten, Kurioses“ ideal verkörpert. Die zwischen 1934 und 1936 angelegte Sammelakte enthält sechs Vorgänge zu unterschiedlichen Personen, so dass lediglich die Vertraulichkeit als gemeinsames Element den Titel ergab. Da die Akte mit der Signatur Tb 20 / 154 auch in der Datenbank des Stadtarchivs bislang mit keinerlei anderen Stichworten erfasst war, scheint sie bislang im Verborgenen geblieben zu sein. Der mit 59 von insgesamt 112 Blatt umfangreichste Teil der Akte enthält nicht nur Fakten, sondern erzählt auch eine kurzweilig zu lesende Geschichte um den ehemaligen Heldenbariton Theo A. Werner, der sich 1934 anschickt, die Intendanz des Theaters seiner Geburtsstadt Trier zu übernehmen und damit den amtierenden Intendanten Fritz Kranz abzulösen. Er wendet sich am 22. Mai brieflich an Oberbürgermeister Ludwig Christ, um sich ohne Stellenausschreibung als Idealbesetzung für diesen Posten zu empfehlen. Er sei „mit Vergnügen bereit“, über die beigereichte Programmskizze hinaus, „persönlich einen Vortrag über die Gestaltung des Spielplans und die Einsparungen der diversen Etats zu halten“. Bis auf wenige Zeugnisse fügt er von der Ortspolizeibehörde Trier beglaubigte Abschriften und Bescheinigungen über seine letzte Tätigkeit als Oberspielleiter des Theaters Krefeld bei, die jedoch durchweg von Parteigenossen und NS-treuen Beamten stammen. Werner wird als „Könner“ seines Fachs beschrieben, der nur, weil er bereits 1931 der NSDAP beigetreten sei, nicht den ihm gebührenden beruflichen Rang erreicht hätte, vielmehr Repressalien ausgesetzt gewesen sei und nun endlich die Stellung erhalten solle, die ihm zustünde – ein sehr oft bis zum Märtyrertum angewandtes Narrativ des NS-Regimes. Nur drei Tage später entzaubert Intendant Kranz in einer vom OB angeforderten, sehr analytischen Stellungnahme den derart beleumundeten Werner. Die Unterlagen bestätigten zwar im persönlicher Beziehung „den sympathischen Eindruck des Augenscheins: Tüchtigkeit, Arbeitsfreudigkeit und Zuverlässigkeit im nationalsozialistischen Sinne“, doch sei in sachlicher Beziehung keine Qualifikation durch Belege nachgewiesen. Er wundere sich auch, wie der Bewerber Einsparungsvorschläge machen wolle, ohne Interna zu kennen. Doch Werner gibt nicht auf. Nach angeblich positiven Verhandlungen mit OB Christ quartiert er sich Mitte Juni in ein Hotel in Berlin ein, um „hier die Betreibung meiner Bestätigung [für die Stelle] durchzusetzen“. Er sei jedoch erstaunt, dass der Fall beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda noch nicht bekannt sei, habe Intendant Kranz doch der Kündigung zugestimmt. Mehrere Telefonate, Telegramme und Schriftstücke gehen hin und her. OB Christ, der sich Werner gegenüber zunächst wohlmöglich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, versucht eine Hinhaltetaktik, während sich Werner überall in Berlin schon als neuer Theaterintendant von Trier der kommenden Spielzeit vorstellt, so auch beim Deutschen Bühnen-Verein, was umgehend von dort dementiert wird. OB Christ wendet sich Mitte Juli hilfesuchend an Ministerialrat Laubinger vom Reichspropagandaministerium, eine Entscheidung über die Besetzung zu treffen, zumal Kranz der damaligen Zentrumspartei nahe stünde und seine Einstellung gegen den Willen der damaligen NSDAP-Kreisleitung erfolgt sei. Schließlich wandert die Angelegenheit im Ministerium noch eine Ebene höher, wo man einen Kompromiss mit Kranz als Intendant und Werner als Opernspielleiter vorschlägt, was OB Christ aber ablehnt. Er teilt dem Ministerium Anfang August stattdessen mit, Kranz als Intendant doch noch für noch eine weitere Spielzeit zu behalten.
Werner gerät letztlich bei OB Christ in Ungnade, weil er die Stadt Trier verklagen wollte und angibt, Einblick in eine interne Stellungnahme des OB zu seinen Gunsten gehabt zu haben. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Angelegenheit wohl so schnell wie möglich zwischen zwei Aktendeckeln verschwinden. Was aus dem Trierer Intendanten in spe Theo Werner wurde, bleibt weiteren Recherchen vorbehalten. Die Quelle ist bei aller vordergründiger Kuriosität auch ein Beispiel für die NS-Kulturpolitik in einem Deutschland, aus dem seit 1933 viele begabte Kunst- und Kulturschaffende fliehen mussten und so manche aus der zweiten oder dritten Reihe nun eine Chance zum Aufstieg witterten.
Simone Fugger von dem Rech