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Buch des Monats August 2020 - Monuments Men in Trier

Veni, vidi, audivi - Monuments-Men-in-Trier-Podcast der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier
Veni, vidi, audivi - Monuments-Men-in-Trier-Podcast der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier

Hier geht's zum Podcast (MP3). (Musik-Quelle: www.musicfox.com)

Podcast in Kooperation mit: Agentur textschnittstelle | mediencontent & text Bettina Leuchtenberg M.A.

Am 2. März 1945 eroberte die amerikanische Armee Trier, der zweite Weltkrieg sollte bald zu Ende sein. 18 Tage später erreichten zwei amerikanische Kunstschutzoffiziere die Stadt an der Mosel. Sie gehörten zur Monuments, Fine Arts and Archives Section der US Army, bekannt geworden sind sie als Monuments Men. Diese Gruppe war europaweit auf der Suche nach den größten Kunstwerken aller Zeiten, die im Kriegsverlauf verschleppt worden sind. Darunter befanden sich Werke wie Michelangelos Madonna aus Brügge oder auch der Genter Altar von Jan van Eyck.

Die beiden Monuments Men, die am 20. März in Trier eintrafen, waren der Schriftsteller und Ballett-Enthusiast Lincoln Kirstein und der Architekt Robert Posey. Um die weitere Zerstörung der Stadt zu verhindern, gaben die beiden eine Broschüre heraus. Darin machten sie den amerikanischen Soldaten klar, dass das Kulturerbe der Stadt Triers bewahrt werden sollte. Kirstein begründet das damit, „weil Porta Nigra und ähnliche Denkmäler nicht nur Deutsch sind.

Die Stadt befand sich in einem fürchterlichen Zustand, wie Kirstein seiner Frau in einem Brief berichtet: „Die Verwüstung ist wie erstarrt, als sei der Augenblick des Feuersturms plötzlich angehalten worden und als habe die Luft ihre Kraft verloren, die Atome zusammenzuhalten, und als hätten sich die verschiedenen Gravitationszentren einen Nahkampf um die Materie geliefert und die Materie verlor. (…) Die Stadt war praktisch menschenleer. (…) Es ist kaum noch etwas intakt geblieben.

Die beiden Kunstschutzoffiziere haben nicht geahnt, dass sie in den nächsten Tagen das größte Kunstraubgeheimnis des Krieges lüften würden. Rein gar nichts hat den großen Durchbruch ihrer Mission angedeutet. Die Sache begann fast banal: Captain Posey hatte starke Zahnschmerzen. Posey und Kirstein mussten in der fast verlassenen Stadt einen Zahnarzt finden. Allein das schien eine Mission Impossible zu sein. Die Kunstschätze mussten warten.

Zum Glück fanden die beiden Monuments Men eine Zahnarztpraxis in der Bahnhofstraße 10. Dr. Peter Sauerwein sprach sogar Englisch! Er unterhielt sich freundlich mit den beiden Amerikanern. Er erzählte ihnen auch, dass sein Schwiegersohn, ein Kunsthistoriker, die letzten Jahre in Paris verbracht habe und ihnen vielleicht weiterhelfen könne. Und das war tatsächlich der Fall.

Dr. Sauerwein erklärte sich bereit, die beiden Offiziere zu begleiten. Zu dritt fuhren sie nach Fell, wo der Schwiegersohn in einem Forsthaus wohnte.

Auf dem Weg durch die verwüstete Landschaft waren sich die beiden Monuments Men zwischenzeitlich nicht mehr ganz sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, zu zweit die Stadt zu verlassen. Doch als sie das schöne Haus am Waldrand betraten, wartete eine echte Überraschung auf sie. Die Wände hingen voller Bilder mit französischen Denkmälern, die Regale waren gefüllt mit Büchern zur Kunstgeschichte. Frische Blumen standen in den Vasen. Kirstein notiert später, das Haus hatte die „angenehme Atmosphäre eines kultivierten Gelehrtenhauses, es war heimelig, konzentriert, weg von dem Krieg.“ Der Hausherr, mit Mitte Dreißig noch erstaunlich jung, begrüßte die beiden auf Französisch.

Es war Herrmann Bunjes, kein Unbekannter in Trier. Bunjes war Kunsthistoriker, studierte in Harvard und Paris und spezialisierte sich auf die französische Skulptur des 13. Jahrhunderts. Zwischen 1936 und Anfang 1940 arbeitete er für die Denkmalpflege in Trier und verfasste zahlreiche Werke über die Denkmäler der Stadt. Eine Zeitlang wohnte in der Villa Nordallee 15, direkt gegenüber dem Simeonstift.

Bunjes war ein erfolgreicher Wissenschaftler mit großen Ambitionen. Die französische Kunst war seine Leidenschaft. Als er nach der Besetzung von Paris durch die deutsche Wehrmacht ein Angebot erhielt, dort als Kriegsverwaltungsrat für den Kunstschutz tätig zu sein, zögerte er nicht. Am 29. September 1940 wohnte er der Wiedereröffnung des Louvre bei und schrieb sogar einen deutschsprachigen Führer. Seine Karriere schien sich rasant zu entwickeln. Jedoch sollte sich sein Traum vom Leben und Forschen in Paris nicht erfüllen. Inmitten des brutalen Krieges waren die Kunstwerke zu Trophäen geworden. Auch Bunjes setzte als NSDAP-Mitglied die NS-Kulturpropaganda in den besetzten Ländern um. Kunstschutz wurde zum euphemistischen Ausdruck für Kunstraub.

Die großen jüdischen Sammlungen wie die der Familie Rothschild wurden konfisziert, deutsche Kunst aus französischen Museen sollte in ihre Heimat zurückgebracht werden. Vor allem aber sollten die großen Kunstwerke wieder in den Berliner Museen bewundert werden können, die Deutschland in Folge des Versailler Vertrags abtreten musste. So zum Beispiel der Genter Altar von Jan van Eyck.

Genau nach diesen Meisterwerken suchten Posey und Kirstein. Sie konnten nicht glauben, dass sie mit jemandem gesprochen hatten, der wusste, wo die Kunstschätzte verborgen waren. Ebenso wenig glaubten sie, dass Bunjes plante, seine Forschungen nach dem Krieg in Paris fortzusetzen. Als hätte Bunjes nicht mehr in Erinnerung, dass er selbst an dem größten Kunstraub des 20. Jahrhunderts beteiligt war, dass er häufig an organisierten Verbrechen teilgenommen hatte. So begleitete er den nationalsozialistischen Politiker Hermann Göring ins Magazin des Pariser Museums Jeu de Paume. Hier lagerten die beschlagnahmten Werke der jüdischen Sammler, die im Holocaust umgebracht worden waren.

Trotz aller juristischer Zweifel blieb Bunjes loyal zu Göring. Mehr noch, Bunjes wurde zum Leiter der Kunsthistorischen Forschungsstätte des Deutschen Instituts ernannt und zum Regierungsrat der Luftwaffe befördert. Unter seiner Aufsicht wurden voll mit Kunstwerken bepackte Züge aus Paris Richtung Osten geleitet.

Hermann Bunjes war es, der den beiden Amerikanern erzählte, wo der Genter Altar und tausende andere wertvolle Kunstwerke versteckt waren. Damit hat er sich auch dafür entschieden, diese Schätze der Menschheitsgeschichte zu retten. Die amerikanischen Offiziere waren erstaunt. Posey und Kirstein hatten durch Bunjes exakte Informationen erhalten, die für die erfolgreiche Rettung der in Salzbergwerken und Schlössern ausgelagerten Kunstschätze entscheidend waren.

Die beiden Offiziere mussten dringend handeln. Denn laut einer der letzten Direktiven Hitlers – dem sogenannten Nero-Befehl – sollten alle geraubten Kulturgüter vernichtet werden. Es war ein Rennen gegen die Zeit. Als die Monuments Men am 8. Mai 1945 ins österreichische Altaussee kamen, entfernten einheimische Bergmänner gerade 500 kg Sprengstoff aus den Stollen. Bis zum 10. Juli des Jahres brachten sie den Genter Altar, die Brügger Madonna Michelangelos und tausende anderer Kunstwerke in Sicherheit.

Ebenfalls am 8. Mai wurde Trier der französischen Besatzungszone zugeteilt. Hermann Bunjes wurde verhaftet und ins Gefängnis in der Trierer Windstraße eingeliefert. Erst da ist ihm klar geworden, dass er als Wissenschaftler keine Zukunft mehr haben würde und auch nicht nach Paris zurückkehren könne. Am 25. Juli 1945 hat sich Bunjes das Leben genommen.

Wenn wir über das Kriegsende in Trier nachdenken, sollten wir den an Konsequenzen so reichen Zahnarztbesuch in der Bahnhofstraße nicht vergessen. Bunjes Rolle in der Maschinerie des Kunstraubs in Paris ist sicher nicht zu unterschätzen. Doch dank seiner Entscheidung konnten zahlreiche Meisterwerke gerettet werden. In den letzten Momenten des Krieges und seines Lebens hat er sich letztlich gegen die Zerstörung von Kulturerbe höchsten Ranges entschieden. Kirstein hat viel über dessen Geschichte nachgedacht – und ihm sogar ein Poem gewidmet:

We’d all but forgot this Nazi
Who helped as much as he could.

 
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