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Foto des Monats Februar 2021 - Familie Loeb

Veni, vidi, audivi - Familie Loeb
Veni, vidi, audivi - Familie Loeb

Hier geht's zum Podcast (MP3). (Musik-Quelle: www.musicfox.com)

Podcast in Kooperation mit:
Agentur textschnittstelle | mediencontent & text Bettina Leuchtenberg M.A.

Im Jahr 2021 jährt sich das Edikt des Kaisers Konstantin, das Juden den Zugang zu Ämtern der Stadtverwaltung Köln erlaubte, zum 1700. Mal. Seit dem Jahr 321 leben Jüdinnen und Juden nachweislich auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Auch in Trier belegen die materiellen Hinterlassenschaften aus der Antike die Existenz von Juden in der Stadt.

Nach den unruhigen Zeiten des Mittelalters und der Früheren Neuzeit entstand in Trier erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts wieder eine jüdische Gemeinde. Sie stand um 1895 in ihrer Blüte und zählte über 800 Mitglieder. In dieser Zeit wurde eine Fotografie hergestellt, die eine gebildete, wohlhabende und assimilierte Familie zeigt: jüdisch und trierisch zugleich.

In der Mitte sehen wir den Patriarchen Leopold Loeb, geboren in Sohren im Hunsrück. Etwa 20 Jahre vor Entstehung der Aufnahme leitete Loeb in Trier zusammen mit dem Kaufmann Samuel Blum eine Weinbrennerei und Weingroßhandlung, die später als „Leopold Loeb Aktiengesellschaft“ sehr erfolgreich wurde. Sie unterhielt Filialen, u. a. in Breslau, 1937 wurde ein Tochterunternehmen in London eröffnet.

Die Familie Loeb wohnte in der Johannisstr. 10. Das Haus entwickelte sich zu einer Art Kulturzentrum des jüdischen Trier. Auf dem Grundstück im Hinterhof hatte ein Kaufmann dreißig Jahre zuvor eine Brennerei für Branntwein errichten lassen. Leopold Loeb erwarb das Grundstück, das neben Hofgebäuden auch einen großen Garten besaß. In ihm spielte sich im Sommer das Familienleben der Loebs ab.

Die Kinder von Leopold Loeb und seiner Frau stehen auf dem Foto in der letzten Reihe, sie schauen ernst in die Kamera. Zur rechten Hand des Vaters der Erstgeborene Sigmund, der später die Firma übernehmen sollte. Daneben seine Schwester Caroline, zu Hause Cara genannt, mit ihrem Gatten Sigmund Strauss. Auf der linken Seite des Vaters der jüngste Sohn, Albert Loeb, auf dem Arm sein zwei Jahre alter Sohn Friedrich. Er sieht aus, als sei er gerade vom Mittagsschlaf erwacht.

Die festliche Kleidung ist besonders auffällig bei den Frauen. In der Mitte sitzt Jeanette Kann, die Ehefrau von Leopold Loeb. Sie ist eine der wenigen Personen auf den Foto, die lächelt. Auch auf anderen Familienfotos lächelt sie in das Objektiv, so als wollte sie sagen: „Hier in Trier geht es uns gut.“

Auf dem Foto sind auch sieben Enkelkinder von Leopold und Jeanette Loeb zu sehen. Zwei und drei Jahre nach der Entstehung des Fotos wurden zwei weitere Enkelkinder geboren, die für die Geschichte der Familie wichtig werden sollten: Otto und Hermann Loeb, aber dazu später mehr.

Um die Geschichte der Familie zu verstehen, ist es wichtig, neben den Schicksalen der SöhneLeopold Loebs, Sigmund und Albert, auch die Herkunft seiner Schwiegertöchter in den Blick zu nehmen.

Zu seiner Rechten sitzt Nelli Loeb, auf dem Schoß die wenigen Wochen zuvor geborene Tochter Dorothea. Nelli wurde in New York geboren, was ihr und ihrem Ehemann das Leben im Zweiten Weltkrieg gerettet hat. Sie ist als Kind eines Weinhändlers aus dem Rheinland auf die Welt gekommen. Ihr Großvater mütterlicherseits war Isaak Haber, einer der erfolgreichen Textilproduzenten in den USA, der u. a. Militärbekleidung herstellte. Die Uniformen für die amerikanischen Soldaten aus der Zeit der Bürgerkriege mit Bezeichnung „Isaac Haber & Co.“ sind heute noch im Smithsonian Museum zu sehen. 1872 konnte man in der Zeitung „New York Herald“ folgende Anzeige lesen: „Am Dienstag, dem 17. April, in der Residenz der Eltern der Braut, wird Emanuel Meyer mit Rosalia, der jüngsten Tochter des Isaac Haber, verehelicht.“

Nelli kommt ein Jahr nach der Vermählung auf die Welt, mit zwanzig Jahren heiratet sie in Trier Sigmund Loeb und zieht in das Haus in der Johannisstraße 10. Niemand kann damals ahnen, wie wichtig es fünf Dekaden später sein würde, dass sie in Amerika geboren wurde.

Auch die zweite junge Frau auf dem Foto, Sophie Mayer, kommt aus einer angesehenen Familie. Sie stammt aus einer Rabbinerfamilie. Ihr Großvater väterlicherseits, Dr. Samuel Mayer aus Hechingen, war Rabbiner, Schriftsteller, Theologe und promovierter Rechtsanwalt.

Mütterlicherseits stammte Sophie Mayer aus der Familie des renommierten Führter Talmudlehrers und Rabbiners Isaias Heidegger. Fürth war eines der führenden Zentren des jüdischen Buchdrucks. Es ist daher nicht überraschend, dass der gebildete und ambitionierte Geschäftsmann Adolf Meyer, der Vater der hier zu sehenden Sophie, in Trier Mitbegründer einer Buchdruckerei und eines Verlages speziell für jüdische Literatur wurde. Das Jahr 1895 bildete den Höhepunkt dieser verlegerischen Aktivitäten. Ein Jahr zuvor war in Trier die dreibändige Anthologie „Die Jüdische Literatur seit Abschluss des Kanons“ erschienen. Das Verlagshaus hatte auch einen Kalender für die Stadt und das Land Trier zum Jahr 1891 (beziehungsweise für das Jahr 5651 und 5652 nach der jüdischen Zeitrechnung) veröffentlicht. Er enthielt auch einen jüdischen Kalender. Es war kein Zufall, dass Hermann Loeb, einer der Enkel des Buchdruckers Adolf Mayer, 30 Jahre später einen Kunstbuchverlag gründete, der heute zu den führenden Verlagen auf dem Markt gehört, der Prestel Verlag. Hermann Loeb fehlt auf dem Foto; er wurde erst 1897 in Trier geboren.

Auch eine andere für Trier sehr wichtige Persönlichkeit fehlt auf dem Foto, der jüngste Sohn von Sigmund und Nelli Loeb: Otto Loeb, geboren 1898. Auch er war wie sein Vater und Großvater Weinhändler. Doch der Weinhandel bildete nicht den einzigen Bereich, in dem die Familie tätig war. Die Loebs waren auch auf den Gebieten von Kultur, Politik und Wirtschaft präsent. Sigmund Loeb war fast drei Dekaden lang als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung tätig. Jahrelang war er der erste Repräsentant der israelitischen Gemeinde Triers. Er engagierte sich im Kulturleben der Stadt und war Förderer der "Philharmonischen Gesellschaft“. Das Haus der Loebs in der Johannisstraße 10, wo die Veranstaltungen der Moselloge stattfanden, entwickelte sich zum kulturellen Zentrum der jüdischen Gemeinde in der Stadt. Sigmunds Sohn Otto Loeb promovierte 1922 über den Weinhandel an der Mosel. Er war Mitbegründer und Geschäftsführer des Verkehrsvereins und unterstützte das Musikleben in Trier.

Das Jahr 1933 bildete eine Zäsur, die die weitere Existenz der Loebs in Trier unmöglich machte. Otto Loeb emigrierte 1937 nach London, wo er eine erfolgreiche Tätigkeit als Weinhändler entfaltete, auch seine Schwester Dorothea und ihre Familie wurde zur Emigration gezwungen. Sigmund Loeb und seine Ehefrau verließen Trier 1938 und gingen zuerst nach Amerika, dann zogen in die Nähe von Amsterdam. Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande wurden die Eheleute im Lager Westerbrock interniert. Nur infolge der amerikanischen Staatsangehörigkeit Nelli Loebs entkamen sie und ihr Ehemann der Deportation in den Osten.

Doch nicht alle hatten so viel Glück. Eine Tochter Leopold Loebs, Cara Strauß (auf dem Foto hinter ihrer Mutter stehend) und ihre Tochter Hedda (ganz links zu sehen) kamen im Holocaust ums Leben. Auch Victor, der fröhliche Junge, der ganz rechts sitzt und offenbar das Lächeln seiner Oma geerbt hatte, verstarb 1942. Nur zwei Kinder Cara Loebs haben den Zweiten Weltkrieg überlebt: die beiden auf einem weißen Fell sitzenden Lucie und Otto Strauß.

Die jüngste Tochter ist Lucie, das Mädchen im karierten Kleid. Vor dem zweiten Weltkrieg wohnte sie mit ihrem Ehemann Hugo Jablonski in Paris. Ihr Sohn Robert Jablon, geboren 15 Jahre nach Entstehung des Fotos, ist in Frankreich als „Kinderretter von La Guette“ bekannt geworden. Er hat mehr als hundert jüdischen Kindern das Leben gerettet. Dank seines diplomatischen Geschicks hat Robert Jablon Mittel und Wege gefunden, die Kinder nach Österreich zu evakuieren.

Neben Lucie sitzt ihr Bruder Otto Strauß. Er ist mit 93 Jahren in Paris verstorben, als letzter der Personen, die auf dem Foto verewigt sind. Die zwei Söhne von Albert Loeb, Friedrich und Eugen (der auf dem Foto erst wenige Monate alt ist) haben im Ersten Weltkrieg gekämpft. Fritz wurde mehrmals verwundet, hat aber überlebt. Sein kleiner Brüder Eugen ist 1918 gefallen, heute erinnert an ihn und die anderen Gefallenen der jüdischen Gemeinde eine Gedenktafel in der Synagoge. Friedrich Loeb war der einzige der Cousins, der nicht aus Deutschland emigrierte. Er ist in Frankfurt am Main verstorben.

Am Ende seines Lebens kehrte auch Otto Loeb aus dem Exil nach Trier zurück, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Die Verdienste seines Vaters Sigmund Loeb für seine Heimatstadt Trier fanden 1958 öffentliche Anerkennung: Eine Straße wurde nach ihm benannt. Und zwei Jahre später erhielt Otto Loeb stellvertretend für den Vater das Ehrensiegel der Stadt Trier. Otto Loeb ist der einzige von all seinen Cousins, der in seiner Heimatstadt bestattet wurde.

Das Bild von 1895 könnte noch mehr Geschichten erzählen, u. a. über die künstlerische Begabung der Familienmitglieder. Genannt sei die Malerin Ursula Sternberg-Hertz, Tochter von Dorothea Loeb, die das Foto von 1895 aufbewahrt hat. Ihr Sohn, der Ururgroßenkel von Leopold Loeb, hat 125 Jahre nach der Entstehung der Fotografie der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier eine digitale Kopie des Bildes zur Verfügung gestellt. Anlass war das Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Damit hat er uns einen Teil der Trierer Geschichte zurückgegeben: jüdisch und trierisch zugleich.

Herrn Peter Sternberg danken wir für das Foto der Familie Loeb und vielen anderen Unterlagen zur Familie.

Dieser Beitrag wäre nicht ohne die vielfältige und freundliche Hilfe von Monika Metzler von AGF, Arbeitskreis „Trier im Nationalsozialismus“ entstanden.

Gefördert durch:

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und MedienNeu Start KulturKULTUR.GEMEINSCHAFTENKulturstiftung der Länder

 

 

 
Bildergalerie
  • Familie Loeb – ein Bild von 1895
 
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