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Fotograf des Monats November 2021 - August Sander in Trier – Eintauchen in die Foto-Welt

Veni, vidi, audivi - August Sander
Veni, vidi, audivi - August Sander

Hier geht's zum Podcast (MP3). (Musik-Quelle: www.musicfox.com)

Podcast in Kooperation mit:
Agentur textschnittstelle | mediencontent & text Bettina Leuchtenberg M.A.

 

Einer der größten deutschen Fotografen des 20. Jahrhunderts hat einmal Folgendes gesagt: „Man fragt mich oft, wie ich auf den Gedanken gekommen sei, dieses Werk zu schaffen: Sehen, Beobachten und Denken und die Frage ist beantwortet. Nichts schien mir geeigneter zu sein, als durch die Photographie in absoluter Naturtreue ein Zeitbild unserer Zeit zu geben (…) Ich bin 30 Jahre Photograph und habe mich allen Ernstes mit der Photographie befaßt, bin gute und schlechte Wege gegangen und habe den Irrtum erkannt.“ Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 1927 und genau 30 Jahre zuvor war der junge August Sander nach Trier gekommen.

Um zu erklären, warum Trier eine gute Wahl für einen jungen, von der Fotografie begeisterten Mann war, muss man in die Geschichte der Stadt eintauchen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung Triers um das Fünffache an. Von etwa 8.800 Einwohnern im Jahr 1800 bis über 43.000 einhundert Jahre später. Das 19. Jahrhundert war auch die Zeit der rasanten Entwicklung eines neuen Mediums: der Fotografie. Die Städte, in denen sich die meisten Fotografen niederließen, waren oft Orte mit einer großen Anzahl von Berufssoldaten. Deswegen war die Garnisonsstadt Trier dazu prädestiniert, eine Stadt der Fotografen zu werden. Nachdem das Rheinland 1815 preußisch geworden war, entwickelten sich die Städte entlang des Rheins und der Mosel zu Garnisonsstädten. Auch in Trier war eine große Anzahl an Truppen stationiert, fernab ihrer Familien. Die Nachfrage an Portraits und Gruppenfotos stieg in der Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich an, und somit wurden viele fotografische Ateliers eröffnet. In Trier sind die ersten Fotografen um 1850 nachweisbar. Neben den aus Trier stammenden Unternehmern kamen erfolgreiche Vertreter der neuesten Technik, der sogenannten Daguerreotypie, auch aus anderen Zentren der Fotografie. Nach der Jahrhundertwende war beispielsweise Friedrich Kramer von Köln nach Trier gezogen. Er hatte auf der Pariser Weltausstellung 1855 eine Bronzemedaille gewonnen und war in Köln als Daguerrotypist tätig. Später hatte er sein Studio in der Simeonstraße 1 in Trier eröffnet, wo er bis zum seinem Tod wohnte. Fotograf war ein Beruf, der von ganzen Familien ausübt wurde. Ein weiteres Beispiel liefert die Familie Mehlbreuer, die sowohl in Trier als auch in Strasbourg, Metz und Mainz Ateliers unterhielt.
Kurz bevor die erste Generation von Fotografen verstarb (Friedrich Kramer 1899 und Josef Mehlbreuer 1898), war ein junger Mann nach Trier gekommen, der hier seine Militärausbildung absolvieren wollte. Zu dieser Zeit entwickelte der 21-jährige Sohn eines Grubenarbeiters große Ambitionen, die ihn ihm den Plan entstehen ließen, einer der wichtigsten deutschen Fotografen des zwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Vor seinem Wechsel nach Trier hatte August Sander einen Berufsfotografen kennengelernt. Dank der Unterstützung seines Onkels Daniel Sander konnte er seine erste Fotokamera kaufen. Schon mit 16 Jahren unternahm Sander die ersten fotografischen Versuche und erlernte mithilfe eines Handbuchs das Fotografieren. Als Autodidakt entschied er sich zwei Jahre später, im Atelier Siebel in Siegen weitere Erfahrungen zu sammeln. Später suchte er in Trier nach einer Nebenarbeit, die es ihm erlauben sollte, seiner Leidenschaft zu frönen.

Als Sander nach Trier kam, waren hier circa 15 Fotografen tätig. Die meisten Ateliers befanden sich in der Innenstadt vom Bahnhof bis zur Römerbrücke die Hauptstraßen der Stadt entlang: Bahnhofstraße, Christophstraße, Simeonstraße, Brotstraße, Hosenstraße, Fleischstraße und Brückenstraße. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewann die Amateurfotografie immer mehr an Popularität, eine Folge der tragbaren Kameras. Auch Ateliers in Trier, wie das bekannte Geschäft von Lambert Hoevel, der auch ein Versandhaus mit Photographischen Bedarfsartikeln betrieb, war mit einer professionellen Dunkelkammer ausgestattet, die für das Publikum zugänglich war.

Der junge August Sander war mit seiner Amateur-Kamera nicht zufrieden und wollte sich weiterentwickeln. Sander fand eine Beschäftigung bei Georg Jung, der ein Atelier in der Weberbach unterhielt. Jung, knapp einen Monat jünger als Sander, war scheinbar nicht nur sein Mentor und Geschäftspartner, sondern auch sein Freund. Als Jung 1900 in Trier heiratete, war Sander sein Trauzeuge. Jahre später erinnerte sich August Sander an seine Zeit in Trier: „Nach Abschluss meiner Militärzeit nahm ich bei demselben Photographen eine Stelle als Freilichter an und ich kann sagen, daß ich Erfolg hatte“. Laut Adressbuch 1901 wohnte Sander in der Nagelstrasse 8, also nur fünf Gehminuten vom Atelier Jung entfernt. Die photographische Kunstanstalt befand sich in der Eckparzelle Weberbach und Palastparadeplatzstrasse. 1899 entschied sich der junge Fotograf, sein Atelier auszubauen. Im Trierer Stadtarchiv sind seine Bauvorhaben dokumentiert. Auf der dritten Etage des Hinterhauses sollte ein Glashaus errichtet werden, wie es die neuesten Werke über die Baukunst empfohlen hatten. Dem Buch „Baukunde des Architekten“ aus dem Jahr 1884 zufolge sollte in jedem Atelier ein fotographisches Glashaus „zur Erlangung des besten Lichtes im Dachgeschoss angelegt werden“. „Eine jede Konstruktion erfüllt daher diesen Zweck, welche ein Maximum zerstreuten Lichts bei völligem Ausschluss direkten Sonnenlicht einlässt (…) durch angemessene Vorrichtungen muss das Mittel gegeben sein, die mächtigen, zur Verfügung gestellten Massen zu regulieren und einzuschränken“. Als Vorbild für einen solchen Überbau wird oft das Atelier von Fritz Luckhard in Wien genannt. Das Atelier von Georg Jung mit der komplett verglasten Nordwand und Glasdach sah diesem sehr ähnlich.

Trotz der Modernisierungen des Ateliers trennten sich die Lebenswege von Georg Jung und August Sander im Jahr 1901. Möglicherweise wollte Sander sich selbständig machen. Georg Jung ist nur bis zum Jahr 1903 in den Trierer Adressbüchern zu finden. Danach wurde das Fotoatelier geschlossen, was eher untypisch für diese Branche war, denn die Einrichtung einer Fotoanstalt war mit großen Investitionen verbunden. In der Regel, auch in Trier, wurden freie Ateliers von anderen Fotografen angekauft und weitergeführt. Zur Ausstattung gehörte nicht nur das Glashaus, sondern auch eine Dunkelkammer mit allen notwendigen Geräten, Geschäfts- und Empfangsräumen.

August Sander begab sich nach der Beendigung seines Militärdienstes auf eine Wanderreise durch Deutschland. Hier sammelte er weitere Erfahrungen, bis er sich 1901 in Linz in Österreich niederließ. Ein Jahr später kam Sander nach Trier zurück und heiratete die in Trier geborene Anna Seitenmacher. Sie stammte aus einer kaufmännischen Familie und war als Modistin tätig. Ihr Gesicht wurde unzählige Male durch ihren Ehemann verewigt. Sie wurde aber nicht nur seine Muse, sondern hatte nach der Eheschließung auch den Beruf des Ehemannes erlernt und ihn bei seiner Karriere unterstützt.

Ab 1904 besaß August Sander ein eigenes Atelier in Linz. 1910 ging er nach Köln, wo er ein neues Atelier eröffnete. Während des ersten Weltkriegs führte seine Ehefrau den Fotobetrieb weiter. Seine Arbeiten wurden häufig ausgestellt und ausgezeichnet. Nach dem Umzug nach Köln begann Sander, an seiner Portraitserie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ zu arbeiten. 1927 wurden die Werke zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Zwei Jahre später erschien sein erster Fotoband „Antlitz der Zeit. 60 Aufnahmen deutscher Menschen“. Das Buch avancierte zum Klassiker der fotografischen Literatur. Die ambitionierte Aufgabe, die Vielfalt der deutschen Gesellschaft der Weimarer Republik zu dokumentieren, hat Generationen von Fotografen beeinflusst und inspiriert.
Der bekannte Philosoph und Kunstkritiker Walter Benjamin schrieb 1931 über die Werke Sanders: „Der Autor ist an diese ungeheure Aufgabe nicht als Gelehrter herangetreten, nicht von Rassentheoretikern oder Sozialforschern beraten, sondern, wie der Verlag sagt, aus der unmittelbaren Beobachtung“. Das wird natürlich in der Zeit des Nationalsozialismus, die für seine Arbeit starke Einschränkungen brachte, von den neuen Machthabern nicht übersehen. Die Ästhetik Sanders entsprach nicht den Ideen der Nationalsozialisten. Sie verfügten, die Druckstöcke von Sanders Bildbänden zu vernichten. Ein Sohn August Sanders, der in der Sozialistischen Partei tätig war, wurde inhaftiert und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Eheleute Sander zogen sich daraufhin zurück. Als neuer Wohnort wurde 1942 Kuchhausen im Westerwald gewählt, nicht weit von Sanders Geburtsort Herdorf. Das Kölner Atelier wurde 1944 durch Bombenangriffe zerstört, glücklicherweise hatte der Fotograf die wichtigsten Negative jedoch nach Kuchhausen gebracht. Nach dem Krieg dokumentierte Sander die zerstörte Stadt.
Die Nachkriegsjahre brachten Sander internationale Anerkennung. 1951 wurde er in Köln mit einer großen Ausstellung geehrt. Ein Jahr später besuchte ihn der aus Luxemburg stammende Fotograf und Kurator Edward Steichen, der wenige Jahre zuvor zum Direktor der Fotografie-Abteilung des Museums of Modern Art in New York ernannt worden war. Steichen hat einige Werke Sanders erworben und eine Auswahl im Rahmen der großen Ausstellung „Family of Man“ gezeigt. Die Ausstellung wurde bis heute von mehr als zehn Millionen Menschen weltweit besucht und 2003 zum Weltdokumentenerbe der Unesco ernannt. Die Werke von Sander sind in Trier nicht zu sehen. Aber im nahen luxemburgischen Schloss Clervaux wird die Installation „Family of Man“ als Dauerausstellung gezeigt. Dort kann man auch Arbeiten Sanders bewundern.
„Mit Hilfe der reinen Photographie ist es uns möglich, Bildnisse zu schaffen, die die Betreffenden unbedingt wahrheitsgetreu und in ihrer ganzen Psychologie wiedergeben", sagte der Pionier der modernen Fotografie, der in Trier wichtige zwei Jahre seiner Ausbildung genossen hat. Seine Worte haben bis heute nichts an Aktualität verloren. Möchte man den Spuren von August Sander in Trier folgen, besteht die herzliche Einladung, in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier in den Bildbänden des Fotografen zu stöbern. Genannt seien die Erstausgabe des Bildbuches über die Eifel von 1933 oder die Neuausgabe der „Menschen des 20. Jahrhunderts“ – beides legendäre Klassiker der fotografischen Literatur.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und MedienNeu Start KulturKULTUR.GEMEINSCHAFTENKulturstiftung der Länder

 
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