Stadtbibliothek Weberbach / Stadtarchiv
Zur Startseite

Objekt des Monats Juni 2022 - Bücher auf Ketten auf langen Pulpeten

Hs. 1063/1282 8°, Kettenbuch, folio 145v-146r (Foto: Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Anja Runkel)
Hs. 1063/1282 8°, Kettenbuch, folio 145v-146r (Foto: Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Anja Runkel)

Nach der Gründung der Universität im Jahr 1473 mit den vier Fakultäten Theologie, Philosophie sowie Medizin und Recht, wurde es notwendig eine Bibliothek für die Studierenden zu errichten. Der Hauptsitz war in der Dietrichstr., dort war aber nicht genug Platz für eine Bibliothek. Der Bestand der Bibliothek wurde dementsprechend in vier Bereiche gegliedert: Theologica, Humanistica, Medicinalia, und Juridica. Die wichtigste Frage war, wie man einen Zugang zu den kostbaren Büchern ermöglichte, ohne sie zu gefährden. Die Entscheidung dazu lag u.a. bei Mäzenen, die bedeutende Buchsammlungen gestiftet hatten. Der Kanoniker Johann Leyendecker hatte in seinem Testament von 1493 bestimmt, die eigene Bibliothek für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch der Dekan Matthias von Saarburg hat seine Bücher, u.a. viele juristische Texte, testamentarisch der öffentlichen Nutzung vermacht. Kurz nach seinem Tode im Jahr 1539 wurden die Mittel pro nova structura librarie - für die neue Ausstattung der Bibliothek gesammelt. Zirka 1550 wurde der erste Katalog der Simeonstiftsbibliothek angefertigt, höchstwahrscheinlich wurde damals auch die Bibliothek für das Publikum im Refektorium des Simeonstifts eingerichtet und eröffnet.

Matthias von Saarburg hatte sich gewünscht, dass die Bücher unter Aufsicht benutzt wurden, Leyendecker optierte für eine pragmatischere Lösung und sichere Maßnahmen gegen Diebstahl: eine Kettenbibliothek. Die zweite Option wurde umgesetzt: jeder Band wurde mit einer Kette versehen und am Lesepult befestigt. In vier thematische Bereiche geteilte Bücher wurden den Studierenden und Lehrenden zur Verfügung gestellt.

Der Reisende Philipp Wilhelm Gercken hat im 18. Jahrhundert die Bibliothek besichtigt und folgendes notiert „Die uralte Stiftsbibliothek bey dem Collegiatstifte S. Simeon zeigte mir (…) Neller (ein Professor der Universität Trier, Kanoniker und damaliger Bibliothekar des Simeonstifts). Sie besteht aus uralten Juristen und Kanonisten, so alle an Ketten auf langen Pulpeten liegen“. Aus anderen Berichten wissen wir, dass die Bücher auf 12 doppelseitigen Pulten zur Verfügung gestellt wurden. An jedem Pult wurden zirka 10 Bände befestigt. Ähnliche Lösungen wurden schon in Italien, den Niederlanden und England praktiziert. Zu den bekanntesten bis heute erhaltenen Kettenbibliotheken gehören die Biblioteca Malatestiana in Cesena in Norditalien, eröffnet 1452 und somit die erste öffentliche Einrichtung dieser Art, und die Bibliothek in der Hereford Kathedrale in England. Es gibt leider keine Bildüberlieferungen der Kettenbibliothek in Trier, aber die Darstellungen der Universitätsbibliothek Leiden aus dem Jahr 1610 ermöglicht uns einen Einblick in eine ähnliche Raumgestaltung zu werfen. Auch hier sehen wir die Bücher „auf Ketten auf langen Pulpeten“ befestigt sind und den einzelnen Fächer zugeteilt sind.

Die Bücher aus der ältesten öffentlichen Universitätsbibliothek Trier, manche noch mit originalen Ketten, befinden sich heute im Bestand der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier. Die Manuskripte und die Inkunabel sind heute zwar nicht mehr an die Regalen oder Pulten angekettet, sind aber unter Verschluss aufbewahrt und gehören zu den kostbarsten Exemplaren die die lange Geschichte des öffentlichen Lesens in Trier dokumentieren. Diese Tradition wird weiter gepflegt und um neue Formate ergänzt, wie das gemeinsame Lesen im Rahmen des Lesefestivals „StadtLesen“, 2022 wieder nach der langen pandemischen Pause unterfreien Himmel stattfinden kann. Im Vergleich zum Lesesaal mit Kettenbibliothek im Simeonstift sind die Sitzmöglichkeiten am Domfreihof viel gemütlicher, man kann zwischen Sitzsacken, Lesestühlen und Hängematten wählen und die Bücher sind auch nicht angekettet. Es lohnt sich dort in den Bücherwelten einzutauchen und mal darüber nachdenken, wie das Lesen in Trier in 500 Jahre ausgesehen könnte. Weitere Informationen unter: https://www.stadtlesen.com/lesestaedte/trier/

 
Bildergalerie
  • Hs. 1063/1282 8°, Kettenbuch, Einband hinten (Foto: Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Anja Runkel)
 
Druckhinweis: Standardmäßig werden Hintergrundbilder/-farben vom Browser nicht ausgedruckt. Diese können in den Druckoptionen des Browsers aktiviert werden.