Stadtbibliothek Weberbach / Stadtarchiv
Zur Startseite

Objekt des Monats Juli 2022 - Die letzten Aufzeichnungen von Walter Benjamin

Objekt des Monats Juli 2022 - Walter Benjamin und Kolonialgeschichte
Objekt des Monats Juli 2022 - Walter Benjamin und Kolonialgeschichte

Dieses Werk, von geringem Umfang aber von großer Bedeutung, verfasste Benjamin in den Wintermonaten 1939/1940 nach der Entlassung aus einem Internierungslager, wo er als Jude inhaftiert war. Kurz danach übergab er das Manuskript an die mit ihm befreundete Hannah Arendt. Der Philosophin gelingt es 1941 den Atlantik nach New York zu überqueren und Benjamins Manuskript an Theodor W. Adorno zu übergeben. Inzwischen war der Autor nicht mehr am Leben. Auf der Flucht aus Frankreich befürchtete er an die Deutschen ausgeliefert zu werden und nahm sich im spanischen Grenzort Portbou das Leben.

Sein letztes Werk „Über den Begriff der Geschichte“ wurde in der Broschüre „Walter Benjamin zum Gedächtnis“ vom Frankfurter Institut für Sozialforschung in Los Angeles vor 80 Jahren herausgegeben aber kaum verbreitet. Erst 1950 veröffentlichte Adorno das Vermächtnis von Benjamin in der Zeitschrift „Die Neue Rundschau“. In 18 geschichtsphilosophischen Thesen reflektiert der Autor über die Geschichte der Menschheit und über die Machtverhältnisse.

Die Perspektive der Menschen zweiter Kategorie, die der Autor als Jude in den Exil-Jahren und der Inhaftierungszeit selbst erlebt hat, war bisher in der Geschichtswissenschaft nicht vertreten. „Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, dass der Ausnahmezustand in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht“. Damit stellt der Denker die bisherige Geschichtsschreibung und den Umgang mit dem Kulturerbe in Frage „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne ein solches der Barbarei zu sein“. Die Worte von Benjamin gegen eine Vereinnahmung der Geschichte durch die Sieger sind in der Zeit der Rückgaben der Kulturgüter aus kolonialen Kontexten und „Black Lives Matter“ Bewegung brennend aktuell.

Walter Benjamin plädiert für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichtsschreibung. „Unsere Aufgabe“ ist seiner Meinung nach „Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustandes“, das heißt die Geschehnisse multiperspektivisch zu betrachten. Im Raum Trier sind die Debatten über den kolonialen Kontext in der Region bis jetzt vereinzelt. Es gibt kein ethnologisches Museum, das sich neu erfinden müsste und keine Kolonialdenkmäler im öffentlichen Raum, die für Empörung sorgen. In den akademischen Kreisen laufen die Projekte (z.B. ein empfehlenswerter Blog: Beziehungsweise Trier. Globalgeschichte in der Region betreut von Frau Dr. Eva Bischoff https://trierglobal.hypotheses.org/), die aber, wie die Werke Benjamins währen seines Lebens, nur in den Fachkreisen bekannt sind. Ein breiter Diskurs der Zivilgesellschaft, wie wir am Beispielen der Initiativen und Arbeitskreise mit dem Schwerpunkt Postkolonialismus in Hamburg, Leipzig, Berlin, Frankfurt oder Freiburg beobachten können, findet in Trier nicht statt.

Gibt es in der Geschichte der Stadt Trier und Umgebung überhaupt Spuren der Kolonialgeschichte? Gibt es Dokumente der Kultur, die auch Dokumente der Barbarei sind um Benjamin zu zitieren? Wenn wir uns um Multiperspektivität bemühen und anfangen zu recherchieren, können wir die verdrängten Kapitel der Geschichte aufdecken. Nehmen wir als Beispiel das Kloster Karthaus in Konz: im Klostergebäude entstand eine der ersten Kolonial-Haushaltungsschulen Deutschlands. Hier wurden die Herrscherideologien, Eurozentrismus und die weiteren Denkmuster der Kolonialära weitervermittelt.

Und obwohl man heutzutage bei einem Spaziergang durch Trier selten durch die Kulturlandschaft gezwungen ist über den Kolonialismus nachzudenken, kann man es im Lesesaal der Wissenschaftlichen Bibliothek mit Hilfe der Werke von Walter Benjamin tun. Man kann mit ihm reflektieren: über Privilegien und Diskriminierungen, über den Begriff der Geschichte. Eine Auswahl an Schriften des berühmten Denkers wird im Monat Juli im Katalogsaal der Wissenschaftlichen Bibliothek zur Verfügung gestellt.

 
Druckhinweis: Standardmäßig werden Hintergrundbilder/-farben vom Browser nicht ausgedruckt. Diese können in den Druckoptionen des Browsers aktiviert werden.