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Objekt des Monats Februar 2023 - Daniela Dröscher „Lügen über meine Mutter“

Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter
Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter

In den letzten Dekaden versuchten mehrere Intellektuelle Antwort auf diese Frage zu geben. Das Buch von Daniela Dröscher „Lügen über meine Mutter“ beschreibt einen Lebensweg, der mit der Fragestellung von Nochlin eng verbunden ist.

Das Buch wird durch die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier als Buch des Monats Februar 2023 präsentiert. Die Autorin Daniela Dröscher, die im Hunsrück aufgewachsen ist und in Trier studiert hat, erzählt in ihrem autobiographischen Roman die Geschichte Ihrer Mutter - einer klugen und ambitionierten Frau, die eigene Träume aufgegeben hat, um für ihre Familie zu sorgen wie unzählige Frauen und Mütter, die keine bedeutenden Künstlerinnen, Autorinnen, Politikerinnen oder Geschäftsführerinnen geworden sind, obwohl sie das Potenzial dafür hatten.

Der Roman nimmt uns mit in die Achtzigerjahre, in den Hunsrück. Eine Welt fest in den geschlechtlichen Stereotypen gefangen. Wir sehen die Familie durch Kinderaugen. Die Augen eines aufmerksamen Kindes, das die Aufgabenverteilung der Erwachsenen nicht in Frage stellt, aber Ungleichheiten und die täglichen Bemühungen der Mutter sieht, die nicht nur für die Verwandten sorgt, sondern auch für ein Nachbarskind. Demgegenüber sehen wir den Vater, der auf seine eigene Karriere und Hobbys stark konzentriert ist. Für eigene Misserfolge macht er das Übergewicht seiner Frau verantwortlich und setzt sie ständig unter Druck. Das schöne Aussehen gehörte zu den Pflichten der guten Ehefrau, nicht so deren berufliche Tätigkeit, die als Gefährdung des Familienlebens galt.

Die kleine Erzählerin fühlt sich mit beiden Eltern verbunden, und manchmal sieht die Mutter durch die Augen des Vaters und schämt sich für ihr Übergewicht. Sie sieht zwar die erschöpfte Mutter, die zwischen neuen Diäten und Betreuung von Kindern und Großmutter klarzukommen versucht, aber erst später, als erwachsene Frau, kann sie ihre Lebenslage verstehen. In den kurzen Kapiteln, die die Haupterzählung unterbrechen, reflektiert die erwachsene Autorin ihre Kindheit. „Das Narrativ »self-made-man« aber ist fatal“, schreibt sie über den Vater. „Denn die Karrieren dieser Männer und Väter basieren natürlich auf der Ausbeutung anderer Gruppen, die im höchsten Maße systemrelevant waren, aber nichts oder viel zu wenig verdienten: der Mütter und Frauen“. Die Autorin analysiert die Situation der Mutter und stellt fest: „Die Wohlhabende oder auch nur finanziell unabhängige Frau stellt im Patriarchat eine Provokation dar (…) Ihre Potenz ist eine Gefahr für den männlichen Körper.“ Und damit steht Daniela Dröscher in der Tradition der Autorinnen, die sich mit den Fragen der Ausbildung und Berufstätigkeit der Frauen auseinandersetzten, beginnend mit den berühmten Essays von Virginia Woolf „Ein Zimmer für sich allein“ und „Drei Guineen“.

Daniela Dröscher hat ein Denkmal für ihre in Stereotypen gefangene Mutter errichtet. Dafür wurde sie für die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022 nominiert. Damit ist ihr autobiografischer Roman eine der bestmöglichen Antworten auf die rhetorische Frage von Linda Nochlin, die das Patriarchat als System auf den Prüfstand stellt. Es ist ein Versuch, die Marginalisierung der Frau anhand einer bewegenden Lebensgeschichte anstatt durch Statistiken, Zahlen und Quoten zu erklären.

Die Autorin Daniela Dröscher wird am 9. März um 19 Uhr in der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier aus ihrem Buch vorlesen. Die von Florian Valerius moderierte Buchvorstellung ist Auftakt der feministischen Lesereihe unter dem Motto „You gonna hear me roar“ – ein Projekt der Wissenschaftlichen Bibliothek, der Frauenbeauftragten der Stadt Trier und des Jugendforums.