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Objekt des Monats September 2022 - Magnus Hirschfeld, der Einstein des Geschlechts, in Trier

Kollage Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier/ Stadtarchiv Trier aus Bildslg. Deuser 015_002 und Buch 9/625
Kollage Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier/ Stadtarchiv Trier aus Bildslg. Deuser 015_002 und Buch 9/625

Einer der bekanntesten Sexualforscher Deutschlands und der erste Experte zum Thema Homo-, Bi- und Transsexualität Magnus Hirschfeld musste Trier öfter besucht haben. In seinem Kompendium aus dem Jahre 1913 schrieb er: „So kam ich früher oft nach Stettin, Nürnberg, Trier und wunderte mich, daß dort scheinbar nichts von Homosexualität bemerkbar war, als ich dann aber später von Ortsansässigen und Unterrichteten – beides trifft keineswegs zusammen – an die sehr versteckt gelegenen „Schlupfwinkel“ der Homosexuellen geführt wurde, fand ich gerade das Gegenteil von dem, was ich anfangs wahrgekommen hatte.“ Welcher Schlupfwinkel in Trier gemeint ist wissen wir nicht, aber ein anderer Ort, den Magnus Hirschfeld besucht hat ist bekannt: das Landesgericht. Damals befand sich das Landesgericht in ehemaligen Gebäude des Lambertinum und dort fand der Prozess im Mordfall Friedrich Mattonet statt, der in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs wegen der besonderen Umstände der Tat für Aufsehen sorgte. Der 29-jährige Josef Breuer wurde beschuldigt seinen homosexuellen Liebhaber Friedrich Mattonet erschossen zu haben. Im Juli 1909 und im Oktober und November 1910 wurde der Fall vor dem Landgericht Trier verhandelt.

Die Prozesse wegen des § 175, der die sexuellen Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, waren in Trier kein Novum; z. B. wurden im Jahre 1907 zwei Männer aus Gutweiler bei einem öffentlichen Prozess zu einem bzw. drei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Beschuldigungen und die Erpressungen waren ein wiederkehrendes Thema. Auch der bekannte Trierer Priester, Publizist und Zentrumsabgeordnete Georg Friedrich Dasbach wurde mehrfach erpresst und seine Sexualität wurde in der Presse oft kommentiert.

Im Mordfall Friedrich Mattonet wurde Magnus Hirschfeld als Sachverständiger nach Trier berufen. Er war schon damals als Experte zum Thema Homosexualität bekannt. Im Jahr 1897 gründete er das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, die weltweit erste Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, sexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren. Bei seinen Vortragsreisen hat er das Anliegen des Komitees weltweit bekannt gemacht. Während seiner Lesereise in dem USA in den 1930er Jahren wurde der Slogan „Einstein of Sex“ erfunden, der in der Berichterstattung der deutschen Presse als „der Einstein des Geschlechts“ übersetzt wurde. Als Hirschfeld nach Trier kam hatte er schon Erfahrung als Gerichtsgutachter, er war u.a. beim Eulenburg-Prozess tätig, einem der größten Skandale des deutschen Kaiserreiches.

Auch im Fall Mattonet berichteten regionale und überregionale Zeitungen sehr detailliert über den Prozess. Die lokale Presse zitierte sogar die Aussagen des Beschuldigten und Zeugen. Im Oktober 1910 dürfte Magnus Hirschfeld seine Expertise beisteuern, wie der Tierische Volksfreund mitteilte „Dr. Magnus Hirschfeld Berlin, der sich seit Jahren mit der Frage der Homosexualität befaßt und darüber auch Schriften herausgegeben hat, hält einen Fall von Chantage für vorliegend“. Genau davor hat der Sexuologe in seinem Werken gewarnt und für die Aufhebung des § 175 StGB plädiert. Zu diesem Thema richtete das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee mehrere Petitionen an den Deutschen Reichstag, denn dieser Paragraph bedrohte „beischlafähnliche Handlungen“ zwischen Männern mit Strafe. Laut Hirschfeld haben diese Bestimmungen „den größten Vorschub einem ausgedehnten Erpressertum und einer höchst verwerflichen männlichen Prostitution geleistet“.

Die Gerichtsverhandlungen in Trier offenbarten, dass Friedrich Mattonet vor seinem Tod jahrelang durch die Täter wegen seiner Homosexualität erpresst wurde. Der Täter Josef Breuer wurde wegen Mordes zum Tode verurteilt sowie zum dauernden Verlust seiner Bürgerrechte. Später wandelte Kaiser Wilhelm II. das Todesurteil in eine lebenslange Zuchthausstrafe um. Magnus Hirschfeld berichtete in seinen Schriften u.a. in seinem Buch Die Homosexualität des Mannes und des Weibes über den Fall und den Prozess. Er zählte zwischen den Jahren 1909 und 1914 rund 20 Morde, die im Zusammenhang mit Erpressung wegen Homosexualität standen und förderte erneut um die Änderung des Reichsstrafgesetzbuches.

Die erste Petition aus dem Jahr 1898, die die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier als Objekt des Monates September 2022 präsentiert, haben über 270 Personen unterzeichnen, darunter bekannte Persönlichkeiten wie der Nobelpreisträger Schriftsteller Gerhard Hauptmann und der Maler Max Liebermann, späterer Präsident der Preußischen Akademie der Künste. Neben vielen prominenten Ärzten und Rechtsanwälten, finden wir leider, auch bei späteren Petitionen, keine Namen aus Trier.

Im Bestand der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier sind auch weitere Werke von Magnus Hirschfeld vorhanden: z.B. das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen Jahrgang I und II. Manche Schriften tragen den Vermerk „nicht verleihbar“. Eine Antwort auf die Frage warum diese Schriften, die in den Augen von damaligen Bibliothekaren gesperrt werden müssten, im Bestand aufgenommen wurden, liefert uns der Bericht des Wissenschaftlich-humanitären Komitees vom Jahre 1905 „Es wurden uns 500 Mark zu dem Zwecke zur Verfügung gestellt, sämtliche Jahrbücher sowie „§ 175“ von Dr. Hirschfeld an die Bibliotheken des Rheinlands zu senden, mit der Bedingung, daß die Werke nicht sekretiert werden.“ Die Trierer Stadtbibliothek hat sich an die Regeln gehalten und die Werke wurden nicht abgesondert. Die Schriften von Magnus Hirschfeld waren damals nicht verleihbar, sind aber der Nachwelt erhalten geblieben. Sie haben die Säuberung der Bestände im Nationalsozialismus überstanden und sind heute wichtige Zeugen der Emanzipation der queeren Bewegung von über 100 Jahren.