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Buch des Monats Dezember 2021 - Kochbuch Alice – ein Buch über die arisierte Autorschaft

"Das Buch Alice" - Karina Urbach
"Das Buch Alice" - Karina Urbach

Das Buch hat mit einer Vorweihnachtslektüre zur Entspannung allerdings nichts zu tun, was der Untertitel erahnen lässt: „Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten“. Das Buch hinterlässt eher einen bitteren Nachgeschmack.

Wir möchten am Ende des Jubiläumsjahres 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland auf dieses besondere Werk aufmerksam machen, weil es uns deutlich macht, wie wenig manche Bereiche der Judenverfolgung und Enteignung erforscht sind. Die Begriffe wie Raubkunst oder Arisierung sind im kollektiven Bewusstsein schon angekommen. Viele Trierer, wenn sie über die Neustraße an dem Kaufhaus Sinn vorbeilaufen, wissen, dass es damals der Familie Haas gehörte. Die Stolpersteine erinnern an die jüdischen Einwohner Triers. Es gibt aber noch viele Facetten der Enteignung und Verfolgung der Juden im Dritten Reich, die immer noch nicht bekannt sind.

Die Historikerin Karina Urbach versucht dem entgegen zu wirken, indem sie die Geschichte ihrer Großmutter Alice Urbach erzählt. Nachdem die erfolgreiche Köchin und Buchautorin als Jüdin aus Österreich fliehen musste, hatte der Verleger ihr Buch "So kocht man in Wien!" nach kleinen Korrekturen unten dem fiktiven Namen Rudolf Rösch weitergedruckt und verkauft. Ein Foto mit den Händen von Alice Urbach schmückte weiterhin den Kochbuchdeckel.

Es gibt noch nicht einmal einen Namen dafür, was Verlage wirklich gemacht haben. Sie haben Bücher von jüdischen Autoren in arische Bücher verwandelt. Und dazu mussten sie dann Strohmänner einsetzen. Und das ist Alice passiert.“, schreibt ihre Enkelin.

Die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier hat in ihren Beständen leider kein Buch von Alice Urbach. Es waren aber auch viele andere jüdische Autoren, deren Autorschaft gefälscht wurde. Sogar in der Rechtswissenschaft waren solche Fälle vorgekommen, was wir anhand der Bücher in Trier zeigen können. Auf einem Regal im Magazin im Bibliotheksgebäude an der Weberbach stehen vier Ausgaben „Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung“ aus den Jahren 1908, 1920, 1930 und 1934. In den ersten Auflagen sehen wir die Namen von Adolf und Max Friedlaender, in der letzten Erwin Noack.

Die Gebrüder Adolf und Max Friedlaender kamen aus einer angesehenen Familie. Ihr Vater Dagobert war Bänker und einer von zwei jüdischen Mitgliedern des preußischen Herrenhauses, der ersten Kammer des Preußischen Landtags. Seine Söhne Adolf und Max wurden erfolgreiche Juristen. Nach 1933 wurden die Gebrüder als „nicht arisch“ ihrer Ämter enthoben. Der „Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung“, inzwischen zum Standardwerk avanciert, war nicht mehr im Buchhandel zu finden. Stattdessen hatte eines Tages Max Friedlaender zufälligerweise eine Veröffentlichung mit dem gleichen Titel gefunden und festgestellt, dass es aus Exzerpten seines Buches besteht. Nach der Pogromnacht 1938 hat Max Friedlaender Deutschland verlassen. Ihm wurde klar, dass er hier keine Zukunft mehr hatte. Sein Doktortitel wurde ihm kurz danach aberkannt und die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Er starb 1956 in London. Sein großer Bruder, der in Frankfurt am Main wohnte, hatte 1942 vor der drohenden Deportation Selbstmord begangen. Seine Tochter und erste Ehefrau wurden in Konzentrationslagern ermordet. Zwei Stolpersteine in der Parkstraße 20 in Frankfurt am Main erinnern heute an Tochter und Vater.

Die Autorin von "So kocht man in Wien!", Alice Urbach, hatte mehr Glück. Sie emigrierte 1938 nach England und 1946 weiter in die USA, wo ihr Sohn seit seiner Studienzeit wohnte. Ihre drei Schwestern sind im Holocaust ums Leben gekommen, so auch Sidonie Rosenberg, die mit Alice Urbach ihr erstes Kochbuch, „Das Kochbuch für Feinschmecker Vorspeisen, Torten, Bäckereien. Wiener Familienrezepte“ geschrieben hatte.

Das Buch von Karina Urbach hat großes Interesse geweckt und wurde schon in mehrere Sprachen übersetzt. Das ist aber nicht der einzige Erfolg. Der Münchener Ernst-Reinhardt Verlag hat sich bei der Autorin entschuldigt und gab die Rechte am Buch an die Familie Urbach zurück. Die Wiener Bibliotheken und die Deutsche Nationalbibliothek haben bei der Ausgabe vom Jahr 1938, die bisher unter dem Namen Rudolf Rösch zu finden waren, einen Hinweis auf die korrekte Urheberschaft angebracht.

Mit dem Werk „Das Buch Alice“ hat Karina Urbach den jüdischen Autoren die Sichtbarkeit zurückgeben und dafür gesorgt, dass die Aufarbeitung der geraubten Autorschaft zum wichtigen Thema wurde. Ein Eintrag im Bibliothekskatalog über die wahre Urheberschaft der Bücher ist im Alltag nicht so auffallend wie Stolpersteine, aber ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt, um den jüdischen Autoren ihre Ehre und Würde zurückzugeben.

 
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  • "Kommentar zur Rechtsanwaltsordnung" - Adolf und Max Friedlaender