Objekt des Monats März 2022 - UNESCO-Schätze der Nationalbibliothek der Ukraine in Kiew
Die Wernadskyj-Nationalbibliothek der Ukraine beherbergt über 15 Millionen Werke und zählt somit zu den zwanzig größten Bibliotheken der Welt. Sie wurde nach dem Ersten Weltkrieg, als die Ukraine unabhängig wurde, im Sommer 1918 für die Öffentlichkeit eröffnet und am 24. Februar 2022 wegen des russischen Überfalles auf die Ukraine unbefristet geschlossen. Das wichtigste Wissenschafts- und Informationszentrum des Staates ist für die Nutzer nicht mehr zugänglich und das reiche Kulturerbe im Bestand der Nationalbibliothek ist in höchstem Maße bedroht. Deswegen möchten die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier und das Stadtarchiv auf eine Vorstellung des „Objekts des Monats“ aus eigenen Beständen verzichten und stattdessen eine wertvolle Sammlung aus Kiew vorstellen, deren Zukunft derzeit unsicher ist.
Die große Sammlung der Nationalbibliothek der Ukraine hat viele Schwerpunkte. Es sind die handschriftlichen Originalüberlieferungen wie z.B. das Kiewer Missale, die älteste existierende kirchenslawische Handschrift aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, und das illuminierte Evangeliar von Peressopnyzja aus dem 16. Jahrhundert. Die beiden Werke sind für die ukrainische Kultur von größter Bedeutung. Aber nicht diese Schätze wurden im Jahr 2005 auf die Liste des Weltdokumentenerbes der UNESCO aufgenommen, sondern eine ganz besondere Sammlung von Edison-Wachszylindern, auf denen jüdische Folkloremusik gespeichert ist. Auf über 1000 Zylindern befinden sich viele Aufnahmen, die zwischen 1912 und 1947 in der heutigen Ukraine und in Weißrussland entstanden sind. Die Sammlung enthält den einzigen authentischen Tonträger mit Originalstimmen von jüdischen Schauspielern wie Solomon Mikhoels oder Lela Romm und Schriftstellern wie z.B. Jehieskil Dobrushin und Notke Lurie. Ebenfalls findet man darauf die Instrumentalstücke des bekannten Komponisten und Violinisten Leo Pulver. Diese Sammlung jüdischer musikalischer Folklore ist eines der wichtigsten Kulturgüter der jüdischen und ukrainischen Geschichte. Sie hat einen herausragenden ästhetischen, stilistischen und sprachlichen Wert.
Um das Ausmaß der Gefährdung zu verstehen, sollte man sich die Worte von Kiews Oberrabbiner Jonathan Markovitch in Erinnerung rufen. Er hat am vergangenen Donnerstag in der Hauptstadt der Ukraine gesagt: „Wir haben Angst vor Antisemitismus, weil wir nicht wissen, was passieren wird.“ Die wertvollen Zylinder sind also nicht nur wegen der militärischen Aktionen gefährdet. Die autoritären und demokratiegefährdenden Ansichten stellen ebenfalls eine Bedrohung dar.
Am gleichen Tag haben verschiedene Akteure, u.a. die UNESCO-Kommission, ihre Stimme erhoben und neben der Einhaltung des humanitären Völkerrechts gefordert, das Haager Übereinkommen zum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten einzuhalten. Einen Tag später hat auch der Deutsche Bibliotheksverband e.V den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilt und zur Solidarität aufgerufen. „Wir stehen an der Seite unserer ukrainischen Kolleg*innen und unterstützen den Aufruf des ukrainischen Bibliotheksverbands, der auf der Website des europäischen Bibliotheksverbands EBLIDA verlinkt wurde (…) Die Bibliotheken unterstützen Menschen dabei, Falschinformationen besser zu erkennen, was in diesen Zeiten wichtiger ist denn je.“ Viele deutsche Bibliotheken, u.a. die Stadtbibliothek München, beteiligen sich aktiv, um Desinformation entgegen zu wirken. Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.muenchner-stadtbibliothek.de/ukraine
Mit diesem Beitrag möchten die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier und das Stadtarchiv ein Zeichen der Solidarität setzten. Aus aktuellem Anlass bereiten wir derzeit Veranstaltungen mit Schwerpunkt zur ukrainischen Kultur und Literatur vor. Informationen hierüber werden Sie auf unserer Webseite und in der Presse finden können.
Unseren Beitrag beenden wir mit Worten des ukrainisches Nationaldichters Taras Schewtschenko:
„Unser Seele, unser Lied
wird nicht sterben, wird nicht verschwinden …
Darin, Leute, liegt unser Ruhm
Ruhm der Ukraine!“